Steigende Energiekosten für viele unbezahlbar. Brandbrief von Jobcentern

 

Aus: Ausgabe vom 14.03.2022, Seite 5 / Inland
Grundsicherung

Regelsatz reicht nicht mehr

Steigende Energiekosten für viele unbezahlbar. Brandbrief von Jobcentern. Forderung nach Soforthilfen
Von Bernd Müller
 
Haushaltsgeräte, die viel Strom verbrauchen, werden wegen der hohen Energiepreise für viele zum Problem

 

Die Energiepreise steigen in der BRD seit Monaten kontinuierlich.
Tanken, Heizen und Strom werden immer teurer. Der Krieg in der Ukraine
und die Sanktionen gegen Russland treiben die Kosten unaufhörlich weiter
in die Höhe. Vor allem für Menschen mit niedrigem Einkommen stellt das
ein Problem dar, das kaum zu bewältigen ist. Die Sozialverbände warnen
vor dieser Entwicklung ebenfalls schon seit Monaten.

Haushalte alleingelassen

Zuletzt
hat Die Linke Niedersachsen schnelle Lösungen gefordert. Bund und
Länder hätten bislang keine umfassende Entlastung auf den Weg gebracht,
monierte der Landesverband der Partei am Donnerstag in einer Erklärung.
»Für die Bundesregierung war es kein Problem, an nur einem Wochenende
100 Milliarden Euro für die Rüstung bereitzustellen«, so
Landesvorstandsmitglied Felix Mönkemeyer. Dagegen würden die Haushalte
mit den Zusatzausgaben alleingelassen. »Wenn jetzt die Industrie und der
Mittelstand nach Hilfe bei den Energiekosten rufen, sollte die Politik
die Chance nutzen, auch bei den Haushalten nachzubessern.«

Die
Dringlichkeit des Problems ist auch den Jobcentern bewusst. In
Nordrhein-Westfalen schrieben sie deshalb im Februar einen Brandbrief an
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Darin berichten sie von
ihrer großen Sorge um Haushalte, die auf Grundsicherung angewiesen sind.
»Nach unserer Überzeugung werden im Laufe dieses Jahres sukzessive
immer mehr Leistungsbeziehende von Energiearmut in einem bisher nicht
gekannten Ausmaß betroffen sein«, heißt es in dem Brief, der in der
vergangenen Woche bekannt wurde.

Gerade beim Strombedarf sehen die
Verfasser erhebliche Probleme, die nur der Bund lösen könne. Denn
anders als die Heizkosten müssen die Kosten für Strom aus dem Regelsatz
der Grundsicherung bezahlt werden. In diesem Jahr sind dafür allerdings
nur 36,42 Euro pro Monat für einen Alleinstehenden vorgesehen. Dieser
Betrag entspricht den Energiekosten aus dem Jahr 2018, heißt es in dem
Brief, und das trage »in keiner Weise den Preisentwicklungen der
jüngsten Vergangenheit Rechnung«.

Fehlende Übersicht

  

Die verantwortlichen Politiker tun sich schwer mit dem Thema, es
fehlt auch an belastbaren Zahlen. Wie schwer es fällt, das Ausmaß des
Problems einzuschätzen, wird beispielhaft in einer Antwort des Berliner
Senats auf eine Anfrage der CDU-Fraktion deutlich. Demnach verfügt die
Senatsverwaltung nicht über eine Übersicht der aktuellen Energiepreise.
Abgeordnete der Christdemokraten hatten sich nach der Entwicklung der
Strom- und Gaspreise in der vergangenen Legislaturperiode erkundigt.
Ende Februar bekamen sie zur Antwort: »Dem Senat liegen Informationen zu
den Preisen aller Strom- und Gaslieferanten in Berlin nicht vor«.

»Energiearmut
ist eine Benachteiligung, über die wir in Deutschland viel zuwenig
reden«, erklärte Katrin Großmann vor einigen Tagen gegenüber Tagesschau.de.
Die Professorin für Stadt- und Raumsoziologie forscht seit langem zu
dem Thema, und sie betont: »Unsere Regierung weigert sich seit Jahren,
Energiearmut als eigenständigen, sozialen Tatbestand anzuerkennen«. Es
handle sich um mehr als eine Unterart der »Einkommensarmut«.

Entgegen
dieser Einschätzung verweist der Berliner Senat zum Thema lediglich auf
die Leistungen der Grundsicherung und andere Sozialleistungen, von
denen aber keine die Energiekosten hinreichend deckt.

Energieschecks gefordert

Mönkemeyer
plädiert in der aktuellen Situation für einen Vorschlag der
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Alle Menschen
mit einem Bruttoeinkommen von weniger als 42.000 Euro im Jahr sollen
demnach Energieschecks in Höhe von 150 Euro ausgestellt bekommen. Das
deckt zwar nach den Berechnungen der IG BCE nur etwa 40 Prozent der
Mehrkosten. Aber es ist wenigstens ein konkreter Vorschlag, so
Mönkemeyer.

https://www.jungewelt.de/artikel/422520.grundsicherung-regelsatz-reicht-...