OECD: Einkommensungleichheit in Deutschland. Vermögensungleichheit hoch. Noch nie in der Geschichte der OECD war die Ungleichheit in unseren Ländern so hoch wie heute

OECD-Sozialbericht: Einkommensungleichheit in Deutschland im Mittelfeld, Vermögensungleichheit hoch

(Paris/Berlin, 21. Mai 2015) - Die Einkommensungleichheit in
Deutschland verharrt seit dem Beginn der Krise 2007 auf mittlerem
Niveau. Wie aus einem neuen Sozialbericht der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgeht,
verzeichnete das Land Anfang der 2000er Jahre einen erheblichen Anstieg
der Ungleichheit; anders als in der Mehrzahl der OECD-Länder trug die
Krise aber nicht dazu bei, diesen Trend zu verstärken. Schaut man auf
verschiedene Indikatoren zur Messung der Ungleichheit, liegt Deutschland
unter den 34-OECD-Ländern im Mittelfeld hinter den nordischen und
einigen osteuropäischen Ländern, aber vor Staaten wie Chile, der Türkei,
den USA oder auch Großbritannien.

In It Together: Why Less Inequality Benefits All
zeigt allerdings auch, dass Vermögen in Deutschland stärker
konzentriert sind als in vielen anderen OECD-Ländern. Die reichsten zehn
Prozent der Deutschen besitzen demnach 60 Prozent der
Nettohaushaltsvermögen, im OECD-Schnitt halten die zehn Prozent der
Reichsten nur 50 Prozent der Vermögen. Insgesamt verschärft die Ballung
bei den Vermögen jedoch OECD-weit die Nachteile der Haushalte mit
niedrigem Einkommen. Im Jahr 2012 besaßen die 40 Prozent der ärmsten
Haushalte aus 18 OECD-Ländern, für die Daten vorlagen, gerade einmal
drei Prozent des Gesamtvermögens.

Steigende Ungleichheit hat laut Bericht nicht nur Auswirkungen auf
die Gesellschaft, es beeinträchtigt auch die wirtschaftlichen Aussichten
eines Landes. Werden die untersten 40 Prozent einer Gesellschaft
abgehängt – also auch größere Teile der Mittelschicht – dann nutzen
Volkswirtschaften nur einen Teil ihres Potenzials. Nach Berechnungen der
Studienautoren hat die steigende Ungleichheit seit 1985 dazu geführt,
dass die Wirtschaft in 19 OECD-Ländern zwischen 1990 und 2010 um 4,7
Prozentpunkte weniger gewachsen ist als das bei unveränderter
Ungleichheit der Fall gewesen wäre. In ungleicheren Gesellschaften haben
es Familien aus schwächeren sozialen Schichten schwerer, ihre Chancen
auf Bildung und damit auf sozialen Aufstieg zu verwirklichen.
OECD-Analysen zeigen, dass steigende Ungleichheit keinen nennenswerten
Effekt auf die formale Bildung und die Kompetenzen von Menschen aus
verhältnismäßig wohlhabenden Familien hat. Für sozial schwache Familien
geht sie allerdings einher mit verkürzter Bildungsdauer und häufig auch
mit schlechteren Resultaten bei den schließlich erworbenen Fähigkeiten.

“Wir haben einen Wendepunkt erreicht. Noch nie in der Geschichte der
OECD war die Ungleichheit in unseren Ländern so hoch wie heute”, sagte
OECD-Generalsekretär Angel Gurría, der den Bericht in Paris gemeinsam
mit der Europäischen Kommissarin für Arbeit und Soziales, Marianne
Thyssen, vorstellte. “Unsere Forschung belegt, dass Ungleichheit dem
Wirtschaftswachstum schadet. Die Politik hat also nicht nur
gesellschaftliche Gründe, gegen Ungleichheit anzugehen, sondern auch
wirtschaftliche. Handeln die Regierungen nicht, dann schwächen sie das
soziale Gefüge ihrer Länder und längerfristig auch das Wachstum.”

Dem Bericht zufolge trug die stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen
zum Abbau von Ungleichheit bei – und das, obwohl diese im OECD-Schnitt
15 Prozent weniger verdienen als Männer. Wäre der Anteil an arbeitenden
Frauen auf dem Stand der frühen 90er Jahre verblieben, dann wäre die
Ungleichheit im Durchschnitt wesentlich stärker gestiegen. Allerdings
wird dieser Effekt in Deutschland dadurch gemindert, dass sich eine
Vielzahl von Frauen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen befindet,
also Teilzeit, befristet oder selbstständig arbeitet.

Unabhängig von der Berufstätigkeit der Frauen sind atypische Jobs
auf dem Vormarsch: 60 Prozent der Arbeitsplätze, die seit Mitte der 90er
Jahre in der OECD geschaffen wurden, sind nicht traditionell. Insgesamt
arbeiten etwa 30 Prozent aller Beschäftigten OECD-weit in atypischen
Jobs. Und selbst, wenn diese Jobs für einige Arbeitnehmer attraktiv
sind, weil sie mehr Freizeit oder mehr Arbeitsautonomie versprechen, so
führt dieser Trend oft auch zu erheblichen Lohneinbußen, etwa bei
weniger gut ausgebildeten Zeitarbeitern.

Regierungen verfügen über eine breite Palette von Maßnahmen, um die
Einkommensungleichheit zu bremsen: Dabei ist die Umverteilung über
Steuer- und Sozialsysteme wichtig; alleingenommen ist sie aber weder
effektiv noch nachhaltig. Deswegen fordert der Bericht gleichzeitig dazu
auf, die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu fördern, qualitativ
hochwertige Jobs zu schaffen und in Bildung und Kompetenzen zu
investieren.

Ergänzend zum Bericht stellt die OECD ein interaktives Web-Portal
online, über das Nutzer aus OECD-Ländern ermitteln können, wo in der
Einkommensskala sie sich befinden und ob sich ihre Vorstellungen von der
Einkommensverteilung in ihrem Land mit der Realität deckt. Compare your income beruht auf den jeweils jüngsten Daten der OECD-Datenbank zur Einkommensverteilung.

http://www.oecd.org/berlin/presse/oecd-sozialbericht-einkommensungleichh...