Neuer Anlauf für Nulltarif im Nahverkehr

Berlin: Kampagne »Ticketteilen« gestartet: Zeichen gegen Kriminalisierung von »Schwarzfahrern« setzen Von Jana Frielinghaus

In manchen Städten in Europa ist die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel kostenlos. Dergleichen sei auch in Berlin finanzierbar – wenn Politik und Verwaltung denn willens seien, meint Uwe Hiksch, Vizevorsitzender des Landesverbandes der Naturfreunde in der Hauptstadt. Der Verein startete am Donnerstag die Kampagne »Ticketteilen«. Hiksch stellte sie mit Naturfreunde-Geschäftsführerin Judith Demba der Öffentlichkeit vor. Inhaber von Monats- oder Wochentickets werden damit aufgerufen, auf ihren Fahrschein in den Zeiten, in denen das erlaubt ist, andere mitfahren zu lassen. Ihre Bereitschaft dazu können sie mit einem am Revers getragenen gelben Button signalisieren.
Die Umweltkarte der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) berechtigt an Wochenenden und Feiertagen sowie werktags zwischen 20 und 6 Uhr zur Mitnahme eines Erwachsenen und von bis zu drei Kindern bis 14 Jahre. Die Naturfreunde wollen zudem Anlaufstellen und eine Onlinebörse einrichten. Darüber kann man Monatskarten in Urlaubszeiten anderen Personen zukommen lassen.

Die Aktion sei eine symbolische, die die Notlage vieler Menschen, die sich Bahn- und Busfahrten nicht leisten können, substantiell nicht verbessern werde, betonte Hiksch. Diejenigen, die sich daran beteiligten, könnten aber ihre Überzeugung kundtun, daß »Mobilität jedem zusteht«. Für die Kampagne haben die Naturfreunde 10000 Flyer, je 5000 Buttons und Sticker sowie 3000 Plakate herstellen lassen. Mit ihr wolle man erneut eine »Nulltarifdebatte« anstoßen, sagte Judith Demba. In den nächsten Wochen hoffe man zunächst, in »befreundeten Verbänden« und in der Gewerkschaftsjugend Kooperationspartner zu finden. Später werde man sich an die Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus wenden. Fernziel ist die Erarbeitung einer Machbarkeitsstudie für einen für die Bürger kostenfreien öffentlichen Nahverkehr. Auf deren Basis könnten Abgeordnete einen entsprechenden Antrag im Parlament einbringen. Hiksch ist überzeugt, daß der Nulltarif ohne weiteres möglich wäre, wenn man im Verkehrsetat zugunsten von Bahn und Bus umschichten würde. Er wies darauf hin, daß einem Hartz-IV-Bezieher für die Nutzung von Verkehrsmitteln monatlich lediglich gut 19 Euro zur Verfügung stehen. Das Berliner Sozialticket kostet 36 Euro pro Monat.

Das »Kontrollettiunwesen« nehme in der Hauptstadt unterdessen immer skandalösere Formen an, findet Hiksch. Dabei habe ein BVG-Sprecher eingeräumt, die Einnahmen aus dem »erhöhten Beförderungsgeld« von 40 Euro deckten bei weitem nicht die Kosten für die Kontrollen. 2013 wurden nach BVG-Angaben knapp 229000 Menschen ohne Ticket angetroffen. Die Einnahmen bei den Überprüfungen beliefen sich also auf maximal gut neun Millionen Euro. Dem stünden bei der den Verkehrsbetrieben 20 bis 30 Millionen Euro an Personal- und Verwaltungskosten gegenüber, sagte Hiksch. Derzeit beschäftigt die BVG 120 Kontrolleure, 2014 sollen 20 weitere hinzukommen.

Gegen 1667 Betroffene wurde im vergangenen Jahr Anzeige erstattet, weil sie die Strafgebühr nicht zahlten. Viele von ihnen können es nicht, weshalb sie am Ende nicht selten im Gefängnis landeten – auf Basis von Paragraph 265a des Strafgesetzbuches wegen des »Erschleichens von Leistungen«.
 

www.ticketteilen.org

http://www.jungewelt.de/2014/01-25/032.php