Nahles (SPD) stellt Auszüge des Armuts- und Reichtumsberichts vor

 

Aus: Ausgabe vom 24.03.2017, Seite 1 / Titel

Eure Armut find’ ich krass

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) stellt Auszüge des Armuts- und Reichtumsberichts vor

Von Simon Zeise

Foto: Daniel Karmann/dpa

Die Regierung schiebt die Mehrheit der Bevölkerung aufs Abstellgleis.
Das ist die zentrale Botschaft, die Bundesarbeitsministerin Andrea
Nahles (SPD) am Donnerstag in Berlin vermittelte. Dort stellte sie
Auszüge aus dem fünften Armuts- und Reichtumsbericht vor, der so mit dem
Kanzleramt abgestimmt sei, aber noch in den anderen Ministerien beraten
werden müsse, bevor er im Bundestag zur Diskussion gestellt werde.

»Dieser
Befund ist echt krass«, sagte Nahles. Das Versprechen »Arbeit lohnt
sich, und Aufstieg ist für alle möglich« gelte nicht mehr. Es gebe eine
»verfestigte Ungleichheit bei den Vermögen«. Die reichsten zehn Prozent
der Haushalte besäßen mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens,
die untere Hälfte nur ein Prozent. Großer Reichtum beruhe oft nicht auf
eigener Leistung. So basiere bei zwei von drei Reichen das Vermögen auf
Erbschaften oder Schenkungen. »Je weniger aber Reichtum mit eigener
Leistung zu tun hat, um so mehr stellt sich die Frage nach
Gerechtigkeit.« Sprach die Ministerin und tat so, als ob sie kein
Wässerchen trüben könne. Zur Erinnerung: Die große Koalition hat eine
Erbschaftssteuerreform zur Förderung der Superreichen beschlossen.
Schätzungen des Deutschen Instituts der Wirtschaft zufolge werden
dadurch jährlich sieben bis acht Milliarden Euro am Fiskus
vorbeigeschleust – Geld, das für Soziales fehlt. Der Armutsforscher
Christoph Butterwegge erklärte gegenüber jW: »Der Bericht ist
darauf angelegt zu verharmlosen.« Die Bundesregierung breche Vorgaben
des Bundestages, wonach der Armuts- und Reichtumsbericht zur Hälfte der
Legislatur vorgestellt werden müsse. »Das war vor eineinhalb Jahren.«
Das Kanzleramt habe insistiert, erinnerte Butterwegge, dass der Passus
»Krise der Repräsentation« gestrichen werde. Nun heißt es im Bericht:
»Die politische Beteiligung bis hin zur Teilnahme an Wahlen ist bei
Menschen mit geringem Einkommen deutlich geringer und hat in den
vergangenen Jahrzehnten stärker abgenommen als bei Personen mit höherem
Einkommen und der Mittelschicht.«

Alles zu verschleiern war Nahles nicht möglich. So listet der Bericht
auf, dass die Bruttolöhne der obersten 60 Prozent der Beschäftigten
seit Mitte der 90er Jahre real angestiegen sind, die Löhne der unteren
40 Prozent der Beschäftigten dagegen seien real gefallen. In einigen
Branchen wie im Transport oder Einzelhandel stagnierten die Löhne auf
niedrigem Niveau. Möglich gemacht hat das Nahlesʼ SPD: Durch die
Hartz-IV-Gesetze wurde ein Niedriglohnsektor geschaffen, auf den die
große Koalition den Daumen hält – einmal dort gelandet, gibt es kaum
noch eine Chance heraus. Zwei Millionen Kinder sind laut dem Bericht
armutsgefährdet, weil kein Elternteil erwerbstätig ist oder ein
Alleinverdiener nur in Teilzeit arbeitet. Das Armutsrisiko von Kindern
liegt bei 64 Prozent, wenn kein Elternteil arbeitet. Der Anteil der von
Armut bedrohten Menschen habe sich in den vergangenen Jahren nicht
verringert.

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der
Linksfraktion, Sabine Zimmermann, kommentierte Nahlesʼ Befund am
Donnerstag. Zu viele Menschen würden »von dem gesellschaftlichen
Reichtum ausgeschlossen, den sie geschaffen haben«. Es sei »völlig
inakzeptabel«, dass der Bundesregierung »die soziale Realität im Land
zwar bekannt ist, sie aber keine entschiedenen Maßnahmen ergreift, um
daran etwas zu ändern«. Butterwegge ergänzte, dass der Bericht nun
langsam das Licht der Öffentlichkeit erblicke, habe eine gute Sache:
Immerhin werde Armut im Wahlkampf thematisiert.

https://www.jungewelt.de/artikel/307712.eure-armut-find-ich-krass.html

 

Der Einfluss der Reichen

Fr 24.3.17