Von Julia Stratmann
Berlin Wer öffentliche
Verkehrsmittel ohne einen gültigen Fahrschein nutzt, begeht in
Deutschland eine Straftat. Laut Paragraf 265a im Strafgesetzbuch (StGB)
handelt es sich hierbei um ein „Erschleichen von Leistungen“, was mit
einer Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden kann.
Das heißt: Wer nicht in der Lage ist, das sogenannte „erhöhte
Beförderungsentgelt“ von 60 Euro zu zahlen, muss mit einem
Gefängnisaufenthalt rechnen. Das will die Linken-Fraktion ändern. Sie
plädiert dafür, das Fahren ohne Fahrschein nicht mehr nach dem
Strafrecht zu ahnden. Der Gesetzentwurf zur Änderung des StGB wurde am
Montag im Rechtsausschuss diskutiert.
„Eine Entkriminalisierung von Fahren ohne Fahrschein ist längst
überfällig“, kritisierte Arne Semsrott vom Freiheitsfonds. Die
Initiative kauft Menschen aus dem Gefängnis frei, die wegen dieses
Vergehens inhaftiert wurden. Seit Dezember 2021 kamen bundesweit
insgesamt 833 Gefangenen frei und dadurch wurden 155 Haftjahre erspart,
wie Semsrott berichtete. Mehr als zwölf Millionen Euro Haftkosten seien
dadurch gespart worden. Mit der Initiative soll Armutsbetroffenen ein
Leben in Freiheit ermöglicht und unverhältnismäßig schwere Strafen
verhindert werden. Diese Strafe treffe nämlich häufig arme und
hilfsbedürftige Menschen sowie Obdachlose, die sich die Fahrkarte nicht
leisten könnten, wie auch die Linken-Fraktion argumentiert.
Die vorgeschlagene Entkriminalisierung ist laut Semsrott deshalb die
einzige Alternative, um auch die Justiz zu entlasten. Das Fahren ohne
Fahrschein aber gar nicht mehr zu ahnden, sieht Andreas Mosbacher,
Richter am Bundesgerichtshof, kritisch. Er befürchtet, dass die
Bevölkerung darin eine rechtliche Akzeptanz dieses Vergehens sehen
könnte. Mosbacher verweist stattdessen auf die Handhabung im Nachbarland
Österreich, wo das Vergehen zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft
wurde.
Michael Kubiciel, Professor für deutsches, europäisches und
internationales Strafrecht an der Universität Augsburg, sieht hier eine
„klassische kriminalpolitische Ermessensentscheidung“. Das heißt: Die
Kriminalisierung von Fahren ohne Fahrschein sei nicht verfassungswidrig,
aber auch für den Verzicht auf Sanktionen lägen keine verbindlichen
Gründe vor. Kubiciel zufolge müssen deshalb weitaus mehr Aspekte
berücksichtigt werden, als es im Gesetzentwurf der Linken-Fraktion der
Fall sei.
Dass dieser Entwurf der Opposition beschlossen wird, gilt als
ausgeschlossen. Allerdings hatte auch Bundesjustizminister Marco
Buschmann (FDP) wiederholt die Herabstufung zu einer Ordnungswidrigkeit
in Aussicht gestellt. Einen Gesetzentwurf der Regierung hatte er bislang
aber nicht vorgelegt.
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