Druck auf Hartz-IV-Bezieher

Studie: Zahl der Sanktionen steigt deutlich / Bundestag befasst sich heute mit Petition
Von Markus Sievers

Das passt nicht so recht zum deutschen Jobwunder mit Rekordbeschäftigung und sinkenden Arbeitslosenraten: Immer mehr Menschen bekommen ihre Hartz-IV-Leistungen gekürzt, weil sie gegen eine Auflage verstoßen haben. „Die Zahl der Sanktionen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen“, heißt es in einer Studie, die das Prognos-Institut für die Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt hat und die der FR vorliegt. Gestiegen ist die Zahl von 2009 bis 2012 um 300 000 auf mehr als über eine Million.
Gleichzeitig schrumpfte durch die gute wirtschaftliche Entwicklung die Gruppe der Leistungsberechtigten. Folglich erhöhte sich der Anteil der Hartz-IV-Bezieher, die mit Kürzungen belegt werden, deutlich. Bei den Männern nahm er um 40 Prozent auf 4,7 Prozent zu und bei den Frauen um sogar 50 Prozent auf 2,1 Prozent. Der Löwenanteil der Sanktionen resultiert aus zu späten oder versäumten Meldungen, nicht aus der Weigerung, arbeiten zu gehen oder sich fortzubilden.
Macht das Sinn? Und ist es verfassungsrechtlich und ethisch überhaupt erlaubt, Menschen Geld zu kürzen, die ohnehin am Existenzminimum leben? Nein, sagen die 50 000 Personen, die eine Petition der früheren Job-Center-Mitarbeiterin Inge Hannemann für die Abschaffung aller Sanktionen bei Hartz IV unterschrieben haben. Mit dem Begehren befasst sich an diesem Montag der Bundestag im Petitionsausschuss. Aus Sicht der grünen Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke und Wolfgang Strengmann-Kuhn muss die Politik eingreifen und die Regeln korrigieren. „Die bisherige Sanktionspraxis war nicht erfolgreich und muss grundlegend geändert werden“, sagen sie.
Die deutsche Arbeitsmarktpolitik folgt einer anderen Philosophie. Nicht erst seit den Reformen der Agenda 2010 lässt sie sich von dem Grundgedanken leiten: Von alleine kommt der Mensch nicht seinen Pflichten nach, nicht im Steuerrecht und nicht bei Sozialleistungen. Ziel der Sanktionen ist, die Arbeitslosen zur Arbeitssuche zu bewegen, auch zur Suche nach schlecht bezahlten Jobs.
Unter Existenzminimum?
In einer Auswertung der wissenschaftlichen Untersuchungen dazu kommen die Prognos-Autoren zum Ergebnis, dass dies nach Ansicht der meisten Forscher einigermaßen klappt. Die Angst, ins finanzielle Nichts zu fallen, treibt die Betroffenen dazu, auch Jobs weit unterhalb ihrer Qualifikation anzunehmen. Doch beobachten viele Wissenschaftler auch unerwünschte Konsequenzen. So können Sanktionen dazu führen, dass Hartz-IV-Bezieher resignieren, sich ganz vom Arbeitsmarkt zurückziehen, das Vertrauen in ihren Berater vom Jobcenter verlieren und den Kontakt abbrechen. „Daneben bringt die Einkommensreduktion die Gefahr von sozialer Isolation, gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Kleinkriminalität, Schwarzarbeit, Verschuldung oder gar Obdachlosigkeit“, schreiben die Wissenschaftler.
Aber darf der Sozialstaat Menschen überhaupt unter das Existenzminimum fallen lassen? Ja, er darf, sagen laut Studie die meisten Juristen. Sie berufen sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010. Darin stellt das Gericht darauf ab, dass die Betroffenen als Ersatz für das gestrichene Geld Sachleistungen erhalten, um über die Runden zu kommen. Zudem enthalte das Grundgesetz keine Verpflichtung, voraussetzungslos steuerfinanzierte Staatsleistungen zu gewähren, befanden die Richter. Mindestens hart an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit bewegt sich der Gesetzgeber laut überwiegender Meinung mit den verschärften Regeln für Junge unter 25 Jahren. Die verlieren besonders schnell und drastisch ihre Ansprüche. Damit will die Politik gleich zu Beginn der beruflichen Laufbahn die Eigeninitiative erzwingen. Dennoch sehen zahlreiche Verfassungsexperten darin einen Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Auch könnte der Gleichheitsgrundsatz verletzt sein, wenn nur eine Altersgruppe so behandelt wird.
Möglicherweise hebt die Politik diese Sonderbestimmungen bald auf. Für deren Streichung sprach sich eine Kommission der Justizminister sowie der Arbeits- und Sozialminister bereits 2010 aus. Im Koalitionsvertrag bekennen sich Union und SPD mehr oder weniger klar dazu, die Kommissionsvorschläge aufzugreifen. Die SPD hat dies schon als Oppositionspartei durchzusetzen versucht. Die Oppositionsparteien, sowohl die Grünen als auch die Linke, fordern grundsätzlich, die Sanktionen abzuschaffen oder zumindest vorübergehend auszusetzen, um Erfahrungen damit zu sammeln. Die Union glaubt dagegen, nicht auf dieses Instrument verzichten zu können.
 
Grüne gegen Hartz-IV-Sanktionen - Kritikerin im Bundestag

Vor ihrem Auftritt im Bundestag bekommt die als «Hartz-IV-Rebellin» bekanntgewordene Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann Unterstützung von der Opposition. Hannemann will heute vor dem Petitionsausschuss für die Abschaffung von Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose werben. Finanzielle Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, die nicht zu Terminen erscheinen oder Jobangebote ablehnen, verstoßen aus ihrer Sicht gegen die Menschenwürde. Die grüne Politikerin Beate Müller-Gemmeke sagte der dpa, sie hoffe, dass damit die Probleme der Langzeitarbeitslosen mehr beachtet werden. (dpa)
http://www.fr-online.de/newsticker/gruene-gegen-hartz-iv-sanktionen---kritikerin-im-bundestag,11005786,26576538.html
 
 
Immer mehr Strafen gegen Hartz IV-Empfänger

Linke im Stadtrat will aktuelle Zahlen fürs vergangene Jahr und fordert Verzicht von Strafen 19.3.14
Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags diskutierte gestern in einer öffentlichen Anhörung eine Petition zur Abschaffung aller Hartz IV-Sanktionen. In diesem Zusammenhang fragte die Stadtrats-Fraktion der Linke die aktuellen Sanktionszahlen für Düsseldorf an.
„In der kommenden Sitzung des Ausschusses für Gesundheit und Soziales am 19. März werden wir das Problem der Sanktionen thematisieren und erfragen, wie viele Sanktionen im vergangenen Jahr in Düsseldorf verhängt wurden“, sagte Angelika Kraft-Dlangamandla, Sprecherin der Ratsfraktion. Denn nicht nur bundesweit, auch in Düsseldorf stieg die Anzahl der Hartz IV-Sanktionen in den vergangenen Jahren drastisch an: So wurden nach Angaben der Düsseldorfer Links-Fraktion 5912 Sanktionen im Jahr 2010 verhängt, bereits 7064 waren es im Jahr 2011 und 9613 im Jahr 2012.
„Der Hartz IV-Regelsatz wird in Düsseldorf aufgrund einer Sanktion – laut letzten verfügbaren Zahlen – durchschnittlich um rund 85 Euro gekürzt“, sagte Angelika Kraft-Dlangamandla.
Sanktioniert zu werden, bedeutet, dass der viel zu geringe Regelsatz auch noch gekürzt wird. „Sanktionen verletzen damit das Grundrecht auf eine gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe. so die Linke-Politikerin. Sie fordert für ihre Fraktion daher die Abschaffung aller Sanktionen.
Hartz IV-Empfänger werden bei Verletzung ihrer Pflichten mit Sanktionen, also Leistungskürzungen, bestraft. Pflichtverletzungen sind beispielsweise, wenn der Hartz IV-Empfänger nicht zu Terminen im Jobcenter erscheint oder Angebote ablehnt.

http://www.derwesten.de/nrz/staedte/duesseldorf/immer-mehr-strafen-gegen-hartz-iv-empfaenger-aimp-id9135926.html
 
 
 
Mehr Strafen gegen Hartz-IV-Empfänger

(semi) Die Behörden gehen immer häufiger gegen Hartz-IV-Empfänger vor, die ihre Auflagen nicht erfüllen: Im Zeitraum Januar bis November 2013 wurden 9672 Sanktionen verhängt und damit mehr als im Gesamtjahr 2012 (damals: 9613). Hauptgründe für die Strafen waren Meldeversäumnis (7901) und Verletzungen der Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung (572). Das geht aus einer Anfrage der Linken im Sozialausschuss vor.

Publikation: Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH, Lokalausgabe, Rheinische Post Düsseldorf
Erscheinungstag: Donnerstag, den 20. März 2014, Seite 31