Armutsbericht: Chancengleichheit nimmt weiter ab. Jedes sechste Kind lebt von Hartz IV-nrw

 

 

Armutsbericht: Chancengleichheit nimmt weiter ab. Jedes sechste Kind lebt von Hartz IV

An Rhein und Ruhr Die
Corona-Pandemie wird die Chancengleichheit in NRW weiter verschlechtern
und negative Folgen insbesondere für Einkommensschwache, niedrig
Qualifizierte, Alleinerziehende und Familien mit Kindern haben. Davon
gehen die Autoren des fünften Armuts- und Reichtumsberichts der
Landesregierung aus.

In dem Bericht (liegt der NRZ vor) wird die soziale Lage der Menschen
in NRW beleuchtet. Im Detail werden Daten vor allem aus den Jahren 2018
und 2019 ausgewertet, also aus der Zeit vor dem Ausbruch der
Corona-Krise. Jedoch ist bereits absehbar, dass die Krise die
Schwächsten am härtesten trifft.

Geringverdiener seien besonders von Einkommenseinbußen betroffen,
heißt es in dem Bericht. So hätte – Stand Juni 2020 – landesweit jeder
Vierte durch die Krise Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Bei den
Haushalten mit einem Nettoeinkommen von unter 1500 Euro seien es aber 40
Prozent gewesen.

Die Autoren des Berichtes weisen zudem auf die Bildungsprobleme von
benachteiligten Kindern durch die Schließung der Schulen und Kitas hin.
Die „Ressourcen im Haushalt entschieden maßgeblich über die Gestaltung
des Alltags und des Lernens zu Hause“, zudem sei der „sozioökonomische
Hintergrund des Elternhaushalts“ in vielerlei Hinsicht entscheidend. Im
Dezember 2019 lebten 17,6 Prozent der unter 18-Jährigen in NRW in
Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften (westdeutscher Schnitt: 12,9 Prozent). 43
Prozent der Sechs- bis 18-Jährigen in NRW hatten 2018 einen
Migrationshintergrund.

Kinder in einkommensschwachen Haushalten lebten „überdurchschnittlich
häufig“ in beengten Wohnverhältnissen, das gelte beispielsweise für 61
Prozent der armen Paarhaushalte. 26,5 Prozent der armen Familien hätten
(Stand 2018) keinen Internetzugang. Digitales Lernen ist so für viele
Kinder kaum möglich. Kinder in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften oder in
Familien mit Migrationshintergrund machten erfahrungsgemäß seltener
Hausaufgaben zu Hause.

Für die Zeit vor der Krise zeichnet der Bericht ein gemischtes Bild.
Einerseits sank die Arbeitslosenquote zwischen 2013 und Ende 2019
stetig, die Löhne und Gehälter stiegen. Andererseits nahm die
Einkommensungleichheit zu, die Zahl der Pflegebedürftigen ist stark
gestiegen und die Lage am Wohnungsmarkt hat sich verschärft.

Bericht NRW /Klartext Seite 6

 

Hohe Miete frisst die Löhne auf

Armutsbericht:
Vor allem im Rheinland und in Münster bleibt vielen Geringverdienern
nach der Miete manchmal weniger im Geldbeutel als einem
Hartz-IV-Empfänger

 
„Wohnen mit Weitblick“ verspricht die Wohnungsbaugesellschaft SWB hier in
Mülheim/Ruhr. Sehr weitblickend war die Politik jedoch eher nicht: Vor
allem an der Rheinschiene fehlt Wohnraum.
Martin Möller FFS

Jan Jessen

An Rhein und Ruhr Es ist ein über
600 Seiten dickes Werk, und es ist bei seinem Erscheinen eigentlich
schon überholt. Das räumt auch Landessozialminister Karl-Josef Laumann
(CDU) bei seinem Vorwort zur jüngsten Auflage des Armuts- und
Reichtumsberichtes ein, in dem die soziale Lage der Menschen an Rhein
und Ruhr ausgeleuchtet wird und der als analytische Handreichung für
politisches Handeln dienen soll. „Wir legen diesen Sozialbericht vor,
obwohl wir wissen, dass Corona und seine Folgen die sozialen und
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in ganz Deutschland in vielerlei
Hinsicht ändern werden“, so der Minister.

Für die Zeit vor dem Ausbruch der alles verändernden Krise zeichnet
der Bericht ein gemischtes Bild. Ein Ausschnitt aus den Erkenntnissen.

Die Beschäftigung:

Zwischen 2015 und Mitte 2019
nahm die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in NRW um
8,9 Prozent auf rund sieben Millionen zu. Insgesamt waren Mitte 2019
landesweit 9,6 Millionen Menschen erwerbstätig. Entsprechend sank die
Arbeitslosenquote seit 2013 stetig und lag Ende 2019 bei 6,4 Prozent
(aktuell liegt sie bei 8,2 Prozent). Leicht gestiegen ist die Quote der
Menschen in sogenannter „atypischer“ Beschäftigung, also Arbeitnehmern,
die in Teilzeit arbeiten, als Leih- oder Zeitarbeiter oder geringfügig
beschäftigt sind oder die ein befristetes Arbeitsverhältnis haben. Hier
lag die Quote bei Frauen im Jahr 2018 bei 54,9 Prozent (plus 0,4 Prozent
gegenüber 2014), bei den Männern lag sie bei 16 Prozent (plus 0,6
Prozent).

Die Löhne und Gehälter:

Das mittlere
Monats-Einkommen lag in NRW im Jahr 2018 bei 3391 Euro und damit etwas
niedriger als der westdeutsche Durchschnitt (3434 Euro). Zwischen 2014
und 2018 stieg es in NRW um 7,8 Prozent. Jedoch sind die
Verdienstzuwächse sehr unterschiedlich ausgefallen. Während der
Bruttostundenverdienst bei Führungskräften inflationsbereinigt um 5,5
Prozent stieg, blieb Ungelernten nur ein Plus von 1,2 Prozent. Menschen,
die in Teilzeit arbeiten, verdienen pro Stunde rund ein Fünftel weniger
als Vollzeitbeschäftigte. Und das mittlere Bruttomonatsgehalt von
Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sank sogar um 1,7 Prozent.

Die Vermögen:

Der Bericht klammert die
Betrachtung von Vermögen von Menschen mit einem Einkommen von über
18.000 Euro monatlich aus, gibt also nur ein sehr verzerrtes Bild der
Wirklichkeit. Die reichsten zehn Prozent derjenigen, die erfasst wurden,
verfügen über 51,2 Prozent des Vermögens in NRW. Fast 20 Prozent haben
keinerlei finanzielle Ressourcen.

Über besonders hohe Vermögen verfügen Pensionäre, danach folgen
Rentner. Im Durchschnitt besaß jeder NRW-Bürger im Jahr 2018 ein
Vermögen von 73.300 Euro, das waren 27,7 Prozent mehr als im Jahr 2013.

Die Armen:

Rund zwei Millionen Menschen bezogen
im Dezember 2018 staatliche Transferleistungen, der Großteil davon (1,61
Millionen) Arbeitslosengeld II. Das waren 11,3 Prozent der Menschen in
NRW. Besonders betroffen: Kinder, junge Erwachsene und Migranten. Seit
2016 sank die Quote leicht. 16,6 Prozent der Menschen in NRW waren 2018
von relativer Armut bedroht (die Schwelle liegt bei einem
Einpersonenhaushalt bei 1006 Euro monatlichem Einkommen). Die Zahl der
überschuldeten Personen in NRW lag 2019 bei 1,75 Millionen und damit um
60.000 höher als im Jahr 2015.

Die Reichen:

Hier sind die Daten im Bericht alt
und stammen aus dem Jahr 2015. In diesem Jahr verzeichneten die
Finanzbehörden 1392 Fälle, in denen Einkommen von über einer Million
Euro versteuert wurden. Im Schnitt waren das jeweils 6,12 Millionen.
Interessant: Den Einkommensmillionären blieb nach Abzug der Steuern und
Sozialabgaben mit 67,7 Prozent mehr von ihrem Einkommen als der
Durchschnittsbevölkerung (61 Prozent).

Die Sozialausgaben:

Die Sozialausgaben der
Kommunen sind zwischen 2014 und 2018 um 18,7 Prozent auf 19,7 Milliarden
Euro jährlich gestiegen. Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz machten dabei im Jahr 2018 rund 0,8
Milliarden Euro aus.

Die Pflegebedürftigen:

Die Zahl der Pflegebedürftigen stieg zwischen 2007 und 2017 in NRW um 58,6 Prozent auf rund 770.000.

Der Wohnungsmarkt:

Immer mehr Menschen in NRW
leben allein. Zählten die Statistiker 2008 rund 2,02 Millionen
Singlehaushalte, waren es 2018 bereits 2,09 Millionen. Sie machen mit
40,6 Prozent den größten Anteil der insgesamt 8,76 Millionen Haushalte
in NRW aus. Familien mit mehr als vier Personen leben dagegen nur in 3,8
Prozent der Haushalte. 57,6 Prozent der Menschen in NRW lebten 2018 zur
Miete.

Insbesondere für ärmere Menschen in stark wachsenden Städten wie
Düsseldorf, Köln, Bonn und Münster wird die Zahlung der Miete zu einem
immer größeren Problem. Personen im unteren Einkommensdrittel zahlen
dort rund die Hälfte des Einkommens an Bruttowarmmiete. Jeder vierte
Haushalt im unteren Einkommensdrittel hat nach Zahlung der Wohnkosten
sogar weniger übrig als die Regelsätze von Hartz IV.

Während die Bestandsmieten sich laut der Studie vergleichsweise
moderat entwickelt haben, sind die Angebotsmieten (also die Mieten für
Wohnungen, die wieder oder neu vermietet werden) in NRW zwischen 2010
und 2018 um 23 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist die Zahl der
preisgebundenen und öffentlich geförderten Wohnungen deutlich
zurückgegangen. 2018 waren es rund 534.000 und damit fast ein Drittel
weniger als noch im Jahr 2008. Die Folge: Einkommensschwache Haushalte
finden bei der Wohnungssuche kaum noch Wohnungen, die sie sich leisten
können.

nrz 1.2.21

https://www.nrz.de/region/niederrhein/lohneinbussen-durch-corona-treffen...