Abhängig von Hartz 4

Viele Leistungsbezieher bekommen jahrelang Geld

FR 3.2.17

 

Abonniert auf Hartz IV

 Von 

Die Mehrheit der Langzeitarbeitslosen ist schlecht qualifiziert.
 Foto: REUTERS

Für Bezieher von Hartz IV sollte die Leistung nur ein Episode im
Erwerbsleben sein. So die Theorie. Tatsächlich sind eine Million
Menschen schon zehn Jahre lang auf die Grundsicherung angewiesen.

Selten hat eine sozialpolitische Maßnahme in der Bundesrepublik so viele Menschen in Rage versetzt wie

die Einführung des Arbeitslosengeldes II (auch genannt „Hartz IV“).
Erwerbsfähige, die das Existenzminium nicht aus eigener Kraft
erwirtschaften können, erhalten seit Anfang 2005 nur noch eine knapp
bemessene Grundsicherung – bei alleinstehenden Erwachsenen sind das
derzeit 409 Euro pro Monat plus Kosten für Wohnung und Heizung. Das soll
den Druck auf Arbeitslose erhöhen, einen Job anzunehmen.

Der damalige Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) bezeichnete die
Änderung einst als „Mutter aller Reformen“. Es war die Zeit, als die
Massenarbeitslosigkeit wie Blei über der Republik lag und die
Schröder-Regierung sich vorgenommen hatte, den Arbeitsmarkt
umzukrempeln.

Eine neue Studie zeigt jetzt: Eine
Million Leistungsbezieher erhalten die Grundsicherung bereits seit zehn
Jahren ohne Unterbrechung, der Arbeitsmarkt ist ihnen weitgehend
verschlossen. Herausgefunden hat dies das Institut für Arbeitsmarkt und
Berufsforschung (IAB) der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit.

Die Experten schauten sich an, wie typische Verlaufsmuster beim Bezug von
Arbeitslosengeld II aussehen. Für viele Betroffene ist Hartz IV nur eine
Episode im Erwerbsleben, sie schaffen wieder den Sprung in den
Arbeitsmarkt. Für viele andere aber ist die Grundsicherung ein
Dauerzustand – entweder, weil sie gar keinen Job finden oder so wenig
verdienen, dass sie als „Aufstocker“ ergänzende Leistungen vom Amt
benötigen.

Fehlende Schulabschlüsse

Die IAB-Experten fanden heraus, dass in den ersten zehn Jahren nach
Einführung der Grundsicherung Anfang 2005 fast eine Million Menschen
ununterbrochen auf die Leistung angewiesen waren. Auffällig ist, dass
die Betroffenen in der Regel nur gering qualifiziert sind. „Hier
dominieren fehlende Schulabschlüsse oder Hauptschulabschlüsse und nur
eine Minderheit besitzt berufliche Bildungsabschlüsse“, schreiben die
Nürnberger Forscher. Sie haben auch nur geringe Hoffnung, dass sich die
Jobchancen dieser Gruppe auf absehbare Zeit steigern lassen: „Aufgrund
der Arbeitsmarktferne steht hier wohl eher ein langfristiges Heranführen
an den Arbeitsmarkt im Vordergrund.“

Wer besser qualifiziert ist, kommt hingegen in der Regel schneller aus dem Bezug
von Arbeitslosengeld heraus. Etwa ein Viertel kann vergleichsweise rasch
eine ungeförderte Beschäftigung aufnehmen. „Ein knappes Drittel
verbleibt hingegen lange im Leistungsbezug und hat relativ wenig Kontakt
zum Arbeitsmarkt“, schreibt das IAB. Etwa jeder zehnte Empfänger ist
zwar relativ gut in den Arbeitsmarkt integriert, braucht aber
aufstockende Leistungen. „Bei jüngeren Leistungsbeziehern zeigt sich,
dass vor allem der Erwerb eines Ausbildungsabschlusses mittelfristig das
Verlassen des Leistungsbezugs begünstigt“, betonen die Forscher.

Die Zahl der Menschen, die Arbeitslosengeld II erhalten oder erhielten, ist
beträchtlich: Derzeit sind es rund sechs Millionen. Der bisherige
Höchststand war im Frühjahr 2006 mit etwa 7,5 Millionen Beziehern. Für
ihre Studie werteten die IAB-Forscher Daten der Jahre 2005 bis 2014 aus.
In den ersten zehn Jahren nach der Einführung erhielten insgesamt 16,7
Millionen Menschen die Leistung.

http://www.fr-online.de/wirtschaft/arbeitslose--abonniert-auf-hartz-iv,1...

 

 

Aus: Ausgabe vom 03.02.2017, Seite 2 / Inland

Gefördert wird nicht wirklich

Studie: Viele Menschen dauerhaft in Hartz-IV-Bezug

Von Claudia Wrobel

Von den 6,2 Millionen Leistungsbeziehern bei der
Einführung von Hartz IV im Januar 2005 befand sich rund eine Million bis
Dezember 2014 durchgehend in der sogenannten Grundsicherung

Foto: Arno Burgi/dpa

»Menschen in Beschäftigung bringen«, »fördern und fordern« – die
Schlagworte waren knackig als vor zwölf Jahren das Arbeitslosengeld II
kreiert wurde Bewährt hat es sich aber vor allem als Strafinstrument für
Erwerbslose. Und ist für eine große Anzahl Menschen eine Sackgasse: Von
den 6,2 Millionen Leistungsbeziehern bei der Einführung von Hartz IV im
Januar 2005 befand sich rund eine Million bis Dezember 2014 durchgehend
in der sogenannten Grundsicherung. Das geht aus einer am Donnerstag
veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB) hervor. Demnach beendeten 1,5 Millionen Menschen
den Bezug innerhalb eines Jahres, vier Millionen innerhalb von fünf
Jahren. Dabei ist langer Bezug der Grundsicherung nicht gleichzusetzen
mit langer Erwerbslosigkeit, auch Lohndumping oder eine geringe mögliche
monatliche Arbeitszeit können dazu führen: Rund 30 Prozent der
erwerbsfähigen Leistungsbezieher sind erwerbstätig.

Anhand einer Stichprobe von mehr als 20.000 Menschen, die erstmals im Jahr 2007 Hartz
IV beantragten, skizzieren die Arbeitsmarktforscher außerdem
verschiedene typische Werdegänge: »Knapp ein Drittel wird zu
Langzeitleistungsbeziehern mit relativ wenig Kontakt zum Arbeitsmarkt.
Ein gutes Viertel kann vergleichsweise schnell und dauerhaft den
Leistungsbezug mit einer bedarfsdeckenden Beschäftigung verlassen. Ein
knappes Zehntel ist zwar relativ gut in den Arbeitsmarkt integriert,
kann aber ohne aufstockendes Arbeitslosengeld II seinen Lebensunterhalt
nicht bestreiten. Einem weiteren knappen Zehntel gelingt erst nach
längerer Zeit der Ausstieg aus dem Leistungsbezug mit einer
bedarfsdeckenden Beschäftigung. Ebenfalls ein knappes Zehntel schafft
nach einer betrieblichen Ausbildung den Ausstieg. Die übrigen knapp zwei
Zehntel verlassen den Leistungsbezug aus anderen Gründen,
beispielsweise wegen Studienbeginn, Selbständigkeit oder
Renteneintritt.«

»Viel zu lange wurde ausschließlich aufs Fordern gesetzt und bei der
Förderung gespart«, kritisierte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin
der Linksfraktion im Bundestag, Sabine Zimmermann in einer
Presseerklärung von Donnerstag und ergänzte. »Wie das damalige
Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit Heinrich Alt richtig
sagte, ist ein Leben mit Hartz IV auf Dauer entwürdigend.«

https://www.jungewelt.de/2017/02-03/007.php