Düsseldorf. Düsseldorf, die Glitzerstadt. Teure Autos parken an
der Kö, noch teurere Juwelen glänzen an den Hälsen
schöner Frauen in Designermode. Ein Klischee? Sicher. Aber auch ein Teil der
Wahrheit. Ein anderer Teil ist wesentlich härter. Er spielt sich jeden
Donnerstag im Hof der Bergerkirche in der Altstadt ab.
In den frühen Morgenstunden kommen die ersten
„Kunden“. Ihre Kleidung kostet keine 1000 Euro, sie sind froh, dass sie sich
vor der Kirche eine Nummer ziehen können, um am Mittag kostenlos einzukaufen.
Armut in Düsseldorf.
Vor einem Jahr hat die Diakonier
in ihrer Kirche an der Berger Straße mit der Ausgabe von Lebensmitteln an
Bedürftige begonnen. „Am Anfang standen hier acht Leute, es waren mehr Helfer
da, als Kunden“, erinnert sich Christian Arnold von der Diakonie. Bis heute hat
sich die Zahl der Menschen, die das Angebot nutzen, vervielfacht. Die Armut
nimmt zu.
Die Lebensmittel werden von
der Düsseldorfer Tafel gestellt. Die Organisation aus Ehrenamtlern
sammelt die Waren bei den großen Supermärkten ein. Die Qualität ist gut, Waren,
deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, kommen nicht in die Verteilung.
Für die Menschen, viele
Alleinerziehende und Rentner sind darunter, bedeutet
der kostenlose Einkauf eine enorme Erleichterung. Von den 345 Euro Hartz IV pro Monat können viele Betroffene, gerade in einer
vermeintlich reichen und dadurch teuren Stadt, kaum leben.
16.12.2006 wz
"Tausende sind auf uns angewiesen"
Seit einem Jahr gibt es die
Lebensmittel-Ausgabe in der Bergerkirche -
immer donnerstags. Was für einige wenige
angefangen hatte, wird nun von
250 Menschen regelmäßig genutzt. Familien,
Rentner, Arbeitslose sind
dabei. Die Initiatoren sagen: Das darf nicht
wahr sein.
VON GÖKÇEN STENZEL
Damit hatte die Düsseldorfer Diakonie nicht
gerechnet, als sie vor einem
Jahr die Lebensmittel-Ausgabe Bergerkirche
einrichtete: Dass immer mehr
Menschen kommen würden, um donnerstags
Konserven, Gemüse, Brot, Tee und
Wurst im Atrium der Kirche abzuholen. Dass es
innerhalb eines Jahres
fast 250 Bedürftige sein würden - deren
Bedürftigkeit auch geprüft wird.
"Sie müssen einen Düsselpass
haben", erklärt Christian Arnold von der
Diakonie. Das heißt: Hartz-IV,
Grundsicherung im Alter oder Gehalt unter
dem Existenz-Minimum von gut 800 Euro. Viele
Aussiedler aus Russland
dabei, so viele, dass die Bekanntmachungen an
der Kirche auch in
russischer Sprache verfasst sind.
Vitali und seine Frau Tanja etwa. Die beiden
Rentner sind in Düsseldorf,
weil sie ihren Kindern gefolgt sind, als die
ausreisten. Das Geld reiche
eben nicht, erzählt er - obwohl man nicht
gerade üppig lebe. Wie viel er
zur Verfügung hat, sagt er nicht. Nur so
viel: "Wir sind jeden
Donnerstag hier."
Andreas auch. Der 50-Jährige ist seit acht
Jahren arbeitslos, und er
sagt offen: "Dadurch, dass ich hierher
komme, kann ich das Einkaufsgeld
für andere Dinge nehmen." 345 Euro sind
es für den Alleinstehenden, "und
wir fordern schon lange, den Satz zu
erhöhen", so Arnold. "Wenn eine
Anschaffung ansteht, haben die Leute oft
nicht mehr genug zum Leben."
Manchmal könne aber auch eine Beratung
helfen, hat Diakonie-Pfarrer
Thorsten Nolting
festgestellt. Daher soll vom neuen Jahr an ein Berater
dabei sein. Immer donnerstags, direkt in der
Kirche, während Ehrenamtler
von der Düsseldorfer Tafel die Lebensmittel
ausgeben.
Björk Lahme etwa, oder Perry Stallmach, die
beide schon lange bei der
Tafel arbeiten und auch gestern freundlich
nach den Wünschen der Kunden
fragten. Heike Vongehr,
Gründerin und Vorsitzende der Tafel: "Wir haben
jeden Tag etwa sechs Anrufer, die fragen: Wo
bekomme ich Lebensmittel?
Ich habe kein Geld mehr. Das sind ganz
normale Menschen, oft mit
Kindern, die sich nur noch abgeschoben
fühlen."
Solche sind es auch, die zur Bergerkirche
kommen: Großmütter mit Enkeln
warten darauf, aufgerufen zu werden. Frauen
schieben Kinderwagen durch
den Hof, kleine Gruppen sitzen plaudernd auf
den Bänken. "Mit den
Wohnungslosen, die wir über das
Franziskanerkloster und über Gemeinden
speisen, haben die Menschen hier nichts zu
tun", sagt Vongehr. "Aber
nähmen wir sie mal zusammen, so könnte man
schon sagen, dass Tausende
darauf angewiesen sind, dass es kostenloses
Essen gibt." Nach
Beobachtungen der Diakonie werden es immer
mehr. "Wir merken es auch an
den Pfarrhäusern", so Nolting. "Immer häufiger stehen Menschen vor der
Tür und bitten um Essen." Und: "Es
kann eigentlich nicht sein, dass ein
wachsender Anteil von Düsseldorfern in einem
Almosen-System verhaftet
bleibt. Hier muss etwas geschehen."
- /GÖKÇEN STENZEL
Quelle:
Verlag: Rheinische Post Verlagsgesellschaft
mbH
Publikation: Rheinische Post Düsseldorf
Ausgabe: Nr.291
Datum: Freitag, den 15. Dezember 2006
Seite: Nr.15
Rp
"Ein Apfel am Tag reicht mir"
ARMUT. Diakonie schlägt Alarm: Die Zahl der
Hilfesuchenden explodiert.
Immer mehr kommen zur Lebensmittelspende.
Sie hat sich geschämt, den Blick auf den
Boden geheftet, "immer auf der
Suche nach dem Loch, in dem ich versinken". Zwischendurch hat sie
gebetet, "hoffentlich erkennt mich
niemand". Schließlich hat sie sich in
die Schlange gereit.
"Weil es nicht mehr anders ging, ich muss meinen
Kindern etwas kochen können", erzählt
die 31-jährige Frau, der nach
Abzug aller laufenden Kosten 245 Euro im
Monat bleiben. "Das reicht
nicht, um für drei Personen Lebensmittel zu
kaufen", klagt die
Derendorferin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen mag. So,
wie
fast alle Frauen, Männer, Kinder,
Jugendlichen, Alten und Behinderten,
die gestern Mittag in der Berger Kirche das
bekamen, was sie am meisten
zum Leben brauchen: Lebensmittel.
Die Würde wahren
Wie nötig es ist, dass ein Gotteshaus gibt,
was die Düsseldorfer Tafel
von Händlern, Unternehmen und Discountern
bekommen, belegen Zahlen.
Kamen am ersten Tag, vor fast genau einem
Jahr, noch acht Menschen,
waren es gestern 250. Die, aus Sorge nichts
mehr zu bekommen, auch schon
um fünf Uhr morgens an der Pforte klopften.
"Keiner von uns hätte
erwartet, dass die Zahl der Hilfesuchenden
geradezu explodiert", sagt
Thorsten Nolting,
Hausherr in der Berger Kirche und Chef der Diakonie.
Was Nolting aber
nicht will, sind "Armenschlangen durch die Altstadt.
Wir wollen, dass die Menschen in Würde bei
uns ohne Geld einkaufen
können." Um möglichst unerkannt bleiben
zu können, werden ab neun Uhr
Nummern ausgegeben. Frauen, Kinder, Alte und
Behinderte werden in dem
diskreten Kirchenhof bevorzugt, "damit
sie nicht so lange warten müssen."
Um das zu bekommen, was die 345 Euro
Grundsicherung meist schon am 15.
des Monats nicht mehr hergibt. Jeder neunte
Düsseldorfer lebt von Hartz
IV oder hat einen so geringen Lohn, dass die
Stadt ihn mit Sozialgeld
unterstützt.
Besonders hart trifft es die Kinder und
Jugendlichen: Waren es 1999 noch
11,3 Prozent der unter 25-Jährigen, die vom
Existenzminimum leben
mussten, sind es in diesem Jahr 15,1 Prozent.
Und die Zahlen steigen
ständig: 148 Millionen hat die Stadt 2006 im Haushalt
für die Hilfen zum
Leben verankert, schon im kommenden Jahr werden es rund zehn Millionen
Euro mehr sein.
Noch mehr Kinder
Eine Zahl, die die 31-jährige alleinerziehende Mutter schockiert: "Das
heißt, dass noch mehr hier anstehen
müssen." Noch mehr Kinder, "denen
wir nicht erklären können, warum wir nicht
einfach in einen Supermarkt
gehen, einkaufen und bezahlen. So wie alle
anderen Mütter, die sie
kennen, auch."
Der Frau, die ihre Scheidung im Januar 2004
in die Armut trieb, krampfte
schon oft der Magen. Vor Sorge, vor Hunger:
"Ich habe mich daran
gewöhnt, weniger zu essen. Dann bleibt mehr
für meine Söhne." Sind die
alle 14 Tage für ein Wochenende bei ihrem
Vater, "spare ich
Lebensmittel, das hilft uns, mir reicht dann
ein Apfel pro Tag".
Ihr Gegenüber, eine alte Frau mit Gehhilfe,
nickt. Sie mag nicht reden,
sie klammert sich an ihren beiden Tüten. Und
bekommt Unterstützung von
der 34-jährigen, alleinerziehenden
Mutter aus Flingern. "Ich helfe Ihnen
tragen." Armut eint, die Rentnerin kramt
den frischen Blumenkohl wieder
vor, bietet ihn an. Bei weniger als 300 Euro
im Monat "habe ich kein
Geld mehr für teurers
Gemüse", sagt die 34-Jährige und dankt. Die
Diakonie gebe ihr "die Würde, meine
Familie versorgen zu können. Zum
Glück muss ich noch nicht in die Armenküche.
Das wäre schlimm, aber ich
würde es tun, damit meine Kinder mehr
haben."
Von den Tomaten, Paprika, Orangen, Käse,
Brot, Gulaschsuppe, Pudding,
Reis und Nudeln, die auch der junge Mann in
seinen Trolley packt. Eine
Woche kommt der Witwer damit aus. Das Baby
unter den rechten Arm
geklemmt, huscht der 25-Jährige noch einmal
zurück. Fragt leise, ob es
auch Stollen gibt, der hält sich doch, für
Weihnachten. Enttäuschung,
diese Woche war keiner dabei. Hoffnung, vielleicht
am nächsten
Donnerstag . . .
14.12.2006
ANDREA KREBS nrz