Über 66.000 Düsseldorfer leben nach Angaben der Diakonie in Armut.

 (RPO) Über 66.000 Düsseldorfer müssen nach Angaben der Diakonie mit dem

Existenzminimum auskommen. Mehr als jeder neunte Bürger ist demnach von

Armut betroffen. Jeden Donnerstag wird die Armut an der Bergerkirche

sichtbar. Seit einem Jahr geben hier Diakonie und Düsseldorfer Tafel

Lebensmittel aus. Rund 200 Menschen kommen regelmäßig.

 

Sie alle erhalten Obst und Gemüse, Konserven, Brot oder was sonst die

Tafel von Düsseldorfer Unternehmen geschenkt bekommen hat. "Wir achten

darauf, dass wir jedem Besucher die Lebensmittel persönlich

aushändigen", sagt Hans Meyer-Rosenthal, der das Projekt für die

Diakonie koordiniert.

 

Viele der Besucher fühlen sich abgeschoben und allein gelassen. Und

vielen ist es unangenehm, jetzt auch noch um Essen anzustehen. "Die

Verarmung ist offensichtlich", sagt Christian Arnold, Leiter der Hilfen

für Menschen ohne Wohnung bei der Diakonie. Das Geld scheint nicht mehr

auszureichen, um die Grundbedürfnisse zu stillen."

 

Gemeinsam mit den anderen Wohlfahrtsverbänden fordert die Diakonie

deshalb die Anhebung des Regelsatzes für die Empfänger des

Arbeistlosengelds II und der Sozialhilfe. Der Ruf nach mehr Geld allein

sei aber auch nicht hilfreich, sagt Arnold. Die Diakonie müsse diesen

Menschen vielmehr ein Netz von Hilfen anbieten.

 

Darum werden Berater der Diakonie donnerstags mit vor Ort sein, um den

Menschen auch längerfristig zu helfen. Sie können zum Beispiel die

finanzielle Lage gemeinsam mit den Menschen überprüfen. Sie unterstützen

sie dann bei Behördenangelegenheiten oder helfen ihnen, mit dem über die

Runden zu kommen, was sie bekommen. Eine Spende macht diese intensive

Beratungsarbeit möglich.

 

Zu dem Netz der Hilfen gegen die Armut gehört auch eine enge Kooperation

mit den fairHäusern der Diakonie-Tochter renatec, in denen Menschen mit

niedrigem Einkommen zu besonders günstigen Preisen einkaufen können.

 

Diakonie: Armut in der Stadt nimmt zu

Lebensmittelausgabe hat immer mehr Zulauf.

Düsseldorf. Düsseldorf, die Glitzerstadt. Teure Autos parken an der , noch teurere Juwelen glänzen an den Hälsen schöner Frauen in Designermode. Ein Klischee? Sicher. Aber auch ein Teil der Wahrheit. Ein anderer Teil ist wesentlich härter. Er spielt sich jeden Donnerstag im Hof der Bergerkirche in der Altstadt ab.

In den frühen Morgenstunden kommen die ersten „Kunden“. Ihre Kleidung kostet keine 1000 Euro, sie sind froh, dass sie sich vor der Kirche eine Nummer ziehen können, um am Mittag kostenlos einzukaufen. Armut in Düsseldorf.

Vor einem Jahr hat die Diakonier in ihrer Kirche an der Berger Straße mit der Ausgabe von Lebensmitteln an Bedürftige begonnen. „Am Anfang standen hier acht Leute, es waren mehr Helfer da, als Kunden“, erinnert sich Christian Arnold von der Diakonie. Bis heute hat sich die Zahl der Menschen, die das Angebot nutzen, vervielfacht. Die Armut nimmt zu.

Die Lebensmittel werden von der Düsseldorfer Tafel gestellt. Die Organisation aus Ehrenamtlern sammelt die Waren bei den großen Supermärkten ein. Die Qualität ist gut, Waren, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, kommen nicht in die Verteilung.

 

Für die Menschen, viele Alleinerziehende und Rentner sind darunter, bedeutet der kostenlose Einkauf eine enorme Erleichterung. Von den 345 Euro Hartz IV pro Monat können viele Betroffene, gerade in einer vermeintlich reichen und dadurch teuren Stadt, kaum leben.

16.12.2006 wz

 

"Tausende sind auf uns angewiesen"

Seit einem Jahr gibt es die Lebensmittel-Ausgabe in der Bergerkirche -

immer donnerstags. Was für einige wenige angefangen hatte, wird nun von

250 Menschen regelmäßig genutzt. Familien, Rentner, Arbeitslose sind

dabei. Die Initiatoren sagen: Das darf nicht wahr sein.

VON GÖKÇEN STENZEL

 

Damit hatte die Düsseldorfer Diakonie nicht gerechnet, als sie vor einem

Jahr die Lebensmittel-Ausgabe Bergerkirche einrichtete: Dass immer mehr

Menschen kommen würden, um donnerstags Konserven, Gemüse, Brot, Tee und

Wurst im Atrium der Kirche abzuholen. Dass es innerhalb eines Jahres

fast 250 Bedürftige sein würden - deren Bedürftigkeit auch geprüft wird.

 

"Sie müssen einen Düsselpass haben", erklärt Christian Arnold von der

Diakonie. Das heißt: Hartz-IV, Grundsicherung im Alter oder Gehalt unter

dem Existenz-Minimum von gut 800 Euro. Viele Aussiedler aus Russland

dabei, so viele, dass die Bekanntmachungen an der Kirche auch in

russischer Sprache verfasst sind.

 

Vitali und seine Frau Tanja etwa. Die beiden Rentner sind in Düsseldorf,

weil sie ihren Kindern gefolgt sind, als die ausreisten. Das Geld reiche

eben nicht, erzählt er - obwohl man nicht gerade üppig lebe. Wie viel er

zur Verfügung hat, sagt er nicht. Nur so viel: "Wir sind jeden

Donnerstag hier."

 

Andreas auch. Der 50-Jährige ist seit acht Jahren arbeitslos, und er

sagt offen: "Dadurch, dass ich hierher komme, kann ich das Einkaufsgeld

für andere Dinge nehmen." 345 Euro sind es für den Alleinstehenden, "und

wir fordern schon lange, den Satz zu erhöhen", so Arnold. "Wenn eine

Anschaffung ansteht, haben die Leute oft nicht mehr genug zum Leben."

Manchmal könne aber auch eine Beratung helfen, hat Diakonie-Pfarrer

Thorsten Nolting festgestellt. Daher soll vom neuen Jahr an ein Berater

dabei sein. Immer donnerstags, direkt in der Kirche, während Ehrenamtler

von der Düsseldorfer Tafel die Lebensmittel ausgeben.

 

Björk Lahme etwa, oder Perry Stallmach, die beide schon lange bei der

Tafel arbeiten und auch gestern freundlich nach den Wünschen der Kunden

fragten. Heike Vongehr, Gründerin und Vorsitzende der Tafel: "Wir haben

jeden Tag etwa sechs Anrufer, die fragen: Wo bekomme ich Lebensmittel?

Ich habe kein Geld mehr. Das sind ganz normale Menschen, oft mit

Kindern, die sich nur noch abgeschoben fühlen."

 

Solche sind es auch, die zur Bergerkirche kommen: Großmütter mit Enkeln

warten darauf, aufgerufen zu werden. Frauen schieben Kinderwagen durch

den Hof, kleine Gruppen sitzen plaudernd auf den Bänken. "Mit den

Wohnungslosen, die wir über das Franziskanerkloster und über Gemeinden

speisen, haben die Menschen hier nichts zu tun", sagt Vongehr. "Aber

nähmen wir sie mal zusammen, so könnte man schon sagen, dass Tausende

darauf angewiesen sind, dass es kostenloses Essen gibt." Nach

Beobachtungen der Diakonie werden es immer mehr. "Wir merken es auch an

den Pfarrhäusern", so Nolting. "Immer häufiger stehen Menschen vor der

Tür und bitten um Essen." Und: "Es kann eigentlich nicht sein, dass ein

wachsender Anteil von Düsseldorfern in einem Almosen-System verhaftet

bleibt. Hier muss etwas geschehen."

 

- /GÖKÇEN STENZEL

 

Quelle:

Verlag: Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH

Publikation: Rheinische Post Düsseldorf

Ausgabe: Nr.291

Datum: Freitag, den 15. Dezember 2006

Seite: Nr.15

Rp

 

"Ein Apfel am Tag reicht mir"

 

ARMUT. Diakonie schlägt Alarm: Die Zahl der Hilfesuchenden explodiert.

Immer mehr kommen zur Lebensmittelspende.

 

Sie hat sich geschämt, den Blick auf den Boden geheftet, "immer auf der

Suche nach dem Loch, in dem ich versinken". Zwischendurch hat sie

gebetet, "hoffentlich erkennt mich niemand". Schließlich hat sie sich in

die Schlange gereit. "Weil es nicht mehr anders ging, ich muss meinen

Kindern etwas kochen können", erzählt die 31-jährige Frau, der nach

Abzug aller laufenden Kosten 245 Euro im Monat bleiben. "Das reicht

nicht, um für drei Personen Lebensmittel zu kaufen", klagt die

Derendorferin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen mag. So, wie

fast alle Frauen, Männer, Kinder, Jugendlichen, Alten und Behinderten,

die gestern Mittag in der Berger Kirche das bekamen, was sie am meisten

zum Leben brauchen: Lebensmittel.

 

Die Würde wahren

Wie nötig es ist, dass ein Gotteshaus gibt, was die Düsseldorfer Tafel

von Händlern, Unternehmen und Discountern bekommen, belegen Zahlen.

Kamen am ersten Tag, vor fast genau einem Jahr, noch acht Menschen,

waren es gestern 250. Die, aus Sorge nichts mehr zu bekommen, auch schon

um fünf Uhr morgens an der Pforte klopften. "Keiner von uns hätte

erwartet, dass die Zahl der Hilfesuchenden geradezu explodiert", sagt

Thorsten Nolting, Hausherr in der Berger Kirche und Chef der Diakonie.

Was Nolting aber nicht will, sind "Armenschlangen durch die Altstadt.

Wir wollen, dass die Menschen in Würde bei uns ohne Geld einkaufen

können." Um möglichst unerkannt bleiben zu können, werden ab neun Uhr

Nummern ausgegeben. Frauen, Kinder, Alte und Behinderte werden in dem

diskreten Kirchenhof bevorzugt, "damit sie nicht so lange warten müssen."

 

Um das zu bekommen, was die 345 Euro Grundsicherung meist schon am 15.

des Monats nicht mehr hergibt. Jeder neunte Düsseldorfer lebt von Hartz

IV oder hat einen so geringen Lohn, dass die Stadt ihn mit Sozialgeld

unterstützt.

 

Besonders hart trifft es die Kinder und Jugendlichen: Waren es 1999 noch

11,3 Prozent der unter 25-Jährigen, die vom Existenzminimum leben

mussten, sind es in diesem Jahr 15,1 Prozent. Und die Zahlen steigen

ständig: 148 Millionen hat die Stadt 2006 im Haushalt für die Hilfen zum

Leben verankert, schon im kommenden Jahr werden es rund zehn Millionen

Euro mehr sein.

 

Noch mehr Kinder

Eine Zahl, die die 31-jährige alleinerziehende Mutter schockiert: "Das

heißt, dass noch mehr hier anstehen müssen." Noch mehr Kinder, "denen

wir nicht erklären können, warum wir nicht einfach in einen Supermarkt

gehen, einkaufen und bezahlen. So wie alle anderen Mütter, die sie

kennen, auch."

 

Der Frau, die ihre Scheidung im Januar 2004 in die Armut trieb, krampfte

schon oft der Magen. Vor Sorge, vor Hunger: "Ich habe mich daran

gewöhnt, weniger zu essen. Dann bleibt mehr für meine Söhne." Sind die

alle 14 Tage für ein Wochenende bei ihrem Vater, "spare ich

Lebensmittel, das hilft uns, mir reicht dann ein Apfel pro Tag".

 

Ihr Gegenüber, eine alte Frau mit Gehhilfe, nickt. Sie mag nicht reden,

sie klammert sich an ihren beiden Tüten. Und bekommt Unterstützung von

der 34-jährigen, alleinerziehenden Mutter aus Flingern. "Ich helfe Ihnen

tragen." Armut eint, die Rentnerin kramt den frischen Blumenkohl wieder

vor, bietet ihn an. Bei weniger als 300 Euro im Monat "habe ich kein

Geld mehr für teurers Gemüse", sagt die 34-Jährige und dankt. Die

Diakonie gebe ihr "die Würde, meine Familie versorgen zu können. Zum

Glück muss ich noch nicht in die Armenküche. Das wäre schlimm, aber ich

würde es tun, damit meine Kinder mehr haben."

 

Von den Tomaten, Paprika, Orangen, Käse, Brot, Gulaschsuppe, Pudding,

Reis und Nudeln, die auch der junge Mann in seinen Trolley packt. Eine

Woche kommt der Witwer damit aus. Das Baby unter den rechten Arm

geklemmt, huscht der 25-Jährige noch einmal zurück. Fragt leise, ob es

auch Stollen gibt, der hält sich doch, für Weihnachten. Enttäuschung,

diese Woche war keiner dabei. Hoffnung, vielleicht am nächsten

Donnerstag . . .

 

14.12.2006    ANDREA KREBS nrz