Land und Leute

Völlig überlastet

Erschöpfte Mitarbeiter, genervte Kunden: Mehr als sieben Monate nach der Gründung läuft in der Arbeitsgemeinschaft von Sozialamt und Arbeitsagentur (Arge) in Duisburg wenig rund. Das Klima auf den Fluren wird aggressiver.

VON JÜRGEN STOCK

Duisburg Daniela Buttler (23) ist arbeitslos. Vor zwei Wochen hat sie ihren Job in einer Duisburger Boutique nach nur einem Monat verloren. „Es hat eben nicht geklappt“, sagt sie und streicht ihrer Tochter Milena (3) übers Haar. Beide sitzen im ersten Stock der Arge-Duisburg. Draußen über dem Eingang steht immer noch „Arbeitsamt“, und tatsächlich belegt die Agentur für Arbeit noch die meisten Büros im Gebäude. Aber 390 Beschäftigte gehören schon zur Arge. Eine von ihnen ist Katja Lupp (36). Sie sitzt gegenüber von Daniela Buttler und geht mit ihr ein Formular durch. Die allein erziehende Mutter sucht einen neuen Job. Katja Lupp soll ihr dabei helfen. Daniela Buttler lächelt, die Betreuerin lächelt. „Hier sind alle sehr freundlich“, sagt die junge Mutter.

Stundenlanges Warten

Ein Stockwerk höher endet die Freundlichkeit im Arge-Korridor. Dutzende Menschen sitzen da vor verschlossenen Türen und spüren die Zeit verrinnen. „Ich warte hier schon seit über einer Stunde“, ruft eine Frau erregt in ein Zimmer hinein, als eine Tür aufgeht. „Ich kann auch nichts für die Scheiße“, schallt es zurück. „Die heute morgen haben drei Stunden lang warten müssen. Wir sind alle völlig überlastet.“

Stefanie Hoffmeister (29) steht bereits über eine Stunde vor dem Zimmer 205. Dahinter soll sie ihre Beschwerde los werden, wenn sie denn endlich dran käme. Sie hat kein Geld bekommen. Das kommt öfter vor, sagen Arge-Mitarbeiter. Die EDV spinne eben manchmal. Stefanie Hoffmeister sind die Gründe egal. Sie ist nur sauer. Es ist heiß. Sie will nicht mehr. „Ich geh' jetzt eine rauchen“, sagt sie verbittert. „Das tust Du nicht“, weist sie ihr Freund zurecht. „Vielleicht kommst Du ja bald dran.“ Aber das hoffen alle in der Wartezone des Flurs.

Ein Gebäude, zwei Welten. Daniela Buttler ist zufrieden mit ihrer Betreuerin, Stefanie Hoffmeister steht sich frustriert die Beine in den Bauch. Rund 480 Euro bekommen die allein erziehenden Mütter im Monat, plus Kindergeld und Mietübernahme. Darüber regt sich niemand auf. Sogar einige der Wartenden räumen ein, dass man damit ganz gut auskommen könne, zumal, wenn man sich noch ein paar Euro hinzuverdiene. Was die Leute auf die Palme bringt, ist die schlechte und wohl auch nicht immer freundliche Betreuung.

Daniela Buttler dagegen hat das Glück, dass sie noch keine 25 ist. Deshalb wird sie von der Jugendabteilung der Arge betreut. Das ist eine 37 Mann starke, motivierte Mannschaft. „Auf einen Berater kommen 75 Kunden“, sagt Klaus Kempkens, Chef der Jugendbetreuer. „Damit liegen wir im Soll.“ Die Bevorzugung der Jungen ist gewollt. Sie sollen sich möglichst gar nicht erst an ein Leben in Arbeitslosigkeit gewöhnen.

Kempkens ist Chef einer bunten Truppe, zusammengesetzt aus ehemaligen Mitarbeitern der Arbeitsagentur, des Sozialamts, der Telekom, der Post und neu Angeworbenen. Dazu zählt Heiko Sahm (34). Seit März ist der Duisburger Diplomchemiker an Bord. Nach dem Studium hatte er einen befristeten Arbeitsvertrag. Der wurde nicht verlängert. So bekam der Akademiker die Arbeitslosigkeit zu schmecken. Hunderte Bewerbungsschreiben schickte er los. „Zum Glück bin ich als Zweitbundesligaspieler im Squash sportlich aktiv. So hatte ich einen geregelten Tagesablauf. Trotzdem kann ich mich jetzt besser in jemanden hineinversetzen, der morgens aufwacht und nichts zu tun hat.“ Wie sich jemand damit abfindet, kann er nicht nachvollziehen. Wer bei der Arge nur schnell Geld abgreifen will, darf auf sein Verständnis nicht hoffen. „Fordern und Fördern“, sagt Sahm. „Wir nehmen das ernst. Wenn einer Vereinbarungen nicht einhält, kriegt er sofort das Geld gestrichen. Ich kenne meine Pappenheimer.“

Wenig Zeit für Ältere

Aber nur weil die Zahl derer, mit denen er sich auseinandersetzen muss, überschaubar ist. Die breite Masse der Arbeitslosen dagegen, die älter als 25 sind, wird derzeit kaum gefordert, mäßig gefördert, nur irgendwie verwaltet. Ein Sachbearbeiter der Arge in Duisburg soll bis zu 500 Klienten Wege aus der Dauerarbeitslosigkeit weisen. Der angestrebte Schlüssel bei den über 25-Jährigen ist 1:150.

Das kann sich die Arge-Mannschaft mühen, wie sie will. Das Geschäft bleibt ein hoffnungsloses Unterfangen, obwohl fast alle Mitarbeiter Überstunden schieben bis zum Anschlag. Hauptursache für das Missverhältnis bei der Betreuungsquote: Die Zahl der Bedürfnisgemeinschaften, die ein Anrecht auf das Arbeitslosengeld II haben, wurde im vergangenen Jahr drastisch unterschätzt. Inzwischen können zwar neue Berater eingestellt werden, aber die sind noch nicht eingearbeitet. Zudem herrscht mangels geeigneter Gebäude akute Raumnot.

Das Ergebnis beschreibt Martina Laus (33), die bei der Arge Beschwerden bearbeiten muss: „Wir fangen morgens um halb sieben an. Spätestens um elf ist die Bude rappelvoll, und alle stehen unter Strom. Feierabend ist erst um halb sechs. Meistens habe ich es dann nicht einmal geschafft, in die Kantine zu gehen.“ Marina Laus ist Diplom-Verwaltungswirtin: „Aber manchmal denke ich, ein Psychologiestudium wäre besser gewesen.“

- /VON JÜRGEN STOCK

Quelle:

Verlag: Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH

Publikation: Rheinische Post Düsseldorf

Ausgabe: Nr.161

Datum: Donnerstag, den 14. Juli 2005

Seite: Nr.3

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Land und Leute

„Die Lage hat sich entspannt“

Interview mit Johannes Schmitz

Über die Situation in der Agentur für Arbeit in Mönchengladbach sprach RP-Redakteur Jürgen Stock mit deren Leiter Johannes Schmitz. Er ist auch zuständig für den Rhein-Kreis Neuss.

Bei vielen Arges klagen Kunden und Mitarbeiter über untragbare Zustände. Wie sieht es bei Ihnen in Mönchengladbach aus?

Schmitz Die Berechnungen des Bundesministeriums für Wirtschaft waren zu gering angesetzt und wurden erst 2005 angepasst. Daraufhin ist auch bei uns Personal aufgestockt worden. Wir haben 37 zusätzliche Vermittler eingestellt.

Funktionierte das reibungslos?

Schmitz Nein, auch wir platzten zeitweise aus allen Nähten. Das war für alle, Beschäftigte wie Kunden, eine hohe Belastung. Im Rhein-Kreis hatten wir aber den Vorteil, dass sich die Anlaufstellen auf acht Kommunen verteilten. Da kann man eher mal ein Büro freiziehen.

Und wie läuft es jetzt?

Schmitz Die Lage hat sich entspannt. Wir haben unseren Betreuungsschlüssel erreicht.

Warum haben Sie ihre Probleme so schnell in den Griff bekommen?

Schmitz Uns ist sicher zugute gekommen, dass die beiden Arges in Mönchengladbach und im Rhein-Kreis erst zum 1.7. ihren Betrieb aufgenommen haben.

Die Gnade der späten Geburt also?

Schmitz So kann man es sagen.

Die Arge als Gemeinschaftsbetrieb von Kommune und Arbeitsamt ist das Ergebnis eines politischen Kompromisses. Sind sie zufrieden damit?

Schmitz Das ist eine Missgeburt.

Was muss sich ändern?

Schmitz Die Kommune sollte das Sagen haben. Daher habe ich angeboten meinen Vorsitz in der Trägergesellschaft an die Stadt abzugeben.

Johannes Schmitz, Leiter der Arbeitsagentur Mönchengladbach. Foto: Illgner

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Quelle:

Verlag: Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH

Publikation: Rheinische Post Düsseldorf

Ausgabe: Nr.161

Datum: Donnerstag, den 14. Juli 2005

Seite: Nr.3