Zwischen Sperre und Sanktion
Die Zahl der Leistungsempfänger sinkt stetig -- auch weil
immer mehr
Arbeitslosen zur Strafe das Geld gestrichen wird
Von Roland Bunzenthal
Die Berichte der Bundesagentur für Arbeit sind oft
sprachlich
verschlüsselt wie ein Orakel: "Neben dem positiven
konjunkturellen
Umfeld beruht ein Teil der Abnahme der Arbeitslosigkeit auf
der
intensiven Betreuung von
Arbeitslosen sowie der systematischen
Aktualisierung von Bewerberangeboten." So steht es im
jüngsten
Monatsbericht. Diese Überprüfung des Arbeitslosenstatus
erkläre
teilweise, "warum die Arbeitslosigkeit stärker ab- als
die Beschäftigung
zunimmt". Rund 400 000 zusätzlichen Erwerbstätigen
binnen Jahresfrist
stehen 600 000 registrierte Arbeitslose weniger gegenüber.
Zwei Gruppen von Arbeitslosen gehen bei der Unterstützung
leer aus: all
jene, die zwar registriert sind, aber dennoch kein
Arbeitslosengeld I
oder II erhalten -- sei es, weil sie die
Bedürftigkeitskriterien nicht
erfüllen, sei es, weil sie noch keinen Anspruch erworben
haben. Das sind
rund 560 000 Menschen. Deutlich mehr sind zwar ebenfalls auf
der
Jobsuche, tauchen aber nicht in der Statistik auf. Zu ihnen
zählen die
über 58-Jährigen, die sich nicht mehr bei der
Arbeitsvermittlung melden
müssen, aber auch die zahlreichen Leistungsempfänger, über
die eine
Sperrzeit verhängt wurde. Deren Zahl dürfte durch die jetzt
in Kraft
getretene Verschärfung der Gesetze weiter steigen.
Die Arbeitsagenturen haben vergangenes Jahr gegen mehr als
eine halbe
Million Arbeitslose Sperrzeiten verhängt. Die Betroffenen
erhielten im
Schnitt rund fünf Wochen lang kein Geld mehr, weil sie gegen
die
verschärften Regeln verstoßen haben sollen. Allein 150 000
Arbeitslose
gingen jeweils eine Woche lang leer aus, weil sie sich nach
Erhalt der
Kündigung nicht sofort arbeitssuchend
gemeldet hatten. Diese Vorschrift
sei als Anlass für eine Sperrzeit neu, meint eine Sprecherin
der
Bundesagentur, und erkläre überwiegend den Anstieg im
vergangenen Jahr.
ALG I und ALG II
Fein säuberlich sprachlich wie juristisch unterschieden wird
zwischen
Beziehern von ALG I und ALG II: Wird bei Ersteren eine
"Sperrzeit"
verhängt, gibt es bei Letzteren hingegen
"Sanktionen". Die auslösenden
Faktoren sind jedoch weitgehend identisch: So muss seit 1997
der
Arbeitslose einen Nachweis seiner Eigenbemühungen erbringen.
Zumutbar
sind für ihn alle seiner Arbeitsfähigkeit entsprechenden
Beschäftigungen. Der früher bestehende Qualifikationsschutz
der
Arbeitslosen wurde durch eine reine Einkommensregelung
abgelöst. In den
ersten Monaten ohne Stelle sind Beschäftigungen zumutbar,
bei denen der
Lohn nicht mehr als 20 bis 30 Prozent unter dem bisher
erhaltenen liegt.
Anschließend ist jede Beschäftigung zumutbar, bei der
zumindest die Höhe
des Arbeitslosengeldes erreicht wird. Tägliche Pendelzeiten
von drei
Stunden gelten ebenfalls als zumutbar. Lehnt der Arbeitslose
einen
zumutbaren Job oder ein Förderangebot der Agentur ab, drohen
ihm
Sanktionen in Form von Sperrzeiten, in denen kein
Arbeitslosengeld
ausgezahlt wird. Seit 2002 wird auch eine Sperrzeit bereits
verhängt,
wenn der Arbeitslose "die Anbahnung eines
Beschäftigungsverhältnisses,
insbesondere ein Vorstellungsgespräch, durch sein Verhalten
behindert".
Die Dauer wurde schrittweise erhöht. Zurzeit beträgt sie
zwölf Wochen.
Es gibt zweifellos nur sehr wenige staatliche
Handlungsfelder, auf denen
Widersprüche der Betroffenen so häufig von Erfolg gekrönt
sind wie bei
den Sperrzeiten. Das hängt mit den stark auslegungsfähigen
Gesetzestexten zusammen -- was ist "ein wichtiger
Grund" für eine eigene
Kündigung des Arbeitnehmers, der eine Sperre verhindert, was
ist eine
"grobe Fahrlässigkeit", durch die jemand nicht nur
seinen Arbeitsplatz,
sondern auch die Unterstützung durch die Behörde
(vorübergehend) verliert?
Regelmäßige "Faulheitsdebatten"
"Deutschlands frechster Arbeitsloser" titelte
kürzlich Bild. Auf solchen
Stimmungswellen schwimmt die fast jedes Jahr weiter
verschärfte
Rechtslage. 2007 etwa gelten neue Bestimmungen, nach denen
ALG-II-Arbeitslose bereits bei
einem zweiten Sanktionsfall alle
Leistungsansprüche verlieren -- der aus dem Grundgesetz
abgeleitete
Schutz des Existenzminimums gilt für sie nicht mehr.
Immer wenn der Arbeitsmarkt schlecht läuft und zugleich eine
Bundestagswahl naht, entbrennen neue öffentliche
"Faulheitsdebatten",
haben die Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin
festgestellt. Stets
drehten die beteiligten Politiker anschließend an der
Paragrafenschraube, insbesondere rund um den Begriff
"Zumutbarkeit".
Gebracht hat es bisher nicht viel, wie die Wissenschaftler
feststellten:
"Die Erwartungen, durch die Konkretisierung des
Zumutbarkeitsbegriffes
die Arbeitsvermittlung zu verbessern und damit die
Arbeitslosigkeit
abzubauen, erfüllten sich nicht."
RBUNZENTHAL
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Ausgabe: Stadtausgabe (Nr. 5)
Datum: Samstag, den 06. Januar 2007
Seite: 3