*Willkürliche Zwangseinweisungen*

 

Eine Studie zeigt, dass der Wohnort über das Risiko einer Unterbringung

in der geschlossenen Psychiatrie entscheidet

 

*Von Annika Joeres *

 

*Düsseldorf. * Eine noch unveröffentlichte Statistik des

NRW-Gesundheitsministeriums zeigt erstmalig riesige Unterschiede bei

Zwangseinweisungen zwischen den Bundesländern. Wer zum Beispiel in

Bremen wohnt, trägt ein 15-mal höheres Risiko, gegen seinen Willen

eingeliefert zu werden als im Saarland. In Hamburg werden 1,5 Menschen

pro 1000 Einwohner auf der Geschlossenen untergebracht, in Mecklenburg

Vorpommern sind es nur 0,13 pro 1000. "Die Statistik macht klar: Diese

dramatische Anordnung geschieht oft willkürlich", sagt Stefan Romberg,

gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Düsseldorfer Landtag und

praktizierender Psychiater.

 

Jedes Jahr werden rund 100

 

000 Menschen gegen ihren Willen in einer geschlossenen Psychiatrie

untergebracht. Formale Gründe für die Zwangseinweisung sind

Selbstmordgefahr oder die Bedrohung anderer. Zugrunde liegen die

Ländergesetze. Sie heißen mal das Psychisch-Krankengesetz oder das

Freiheitsentziehungsgesetz und unterscheiden sich nur geringfügig.

 

Doch in den Parlamenten wird bislang nur wenig über diese drastische

Maßnahme diskutiert. Einige Länder wie Bayern oder Hessen haben trotz

mehrmaliger Anfrage des NRW-Gesundheitsministeriums keine Zahlen

geliefert. Beide Ministerien konnten auf Nachfrage keine Zahlen nennen.

Sie würden nicht "aktiv abgefragt".

 

"Fast jede Familie ist entfernt oder unmittelbar betroffen und doch wird

das Problem ignoriert", sagt Romberg. "Unser Ziel sollte es immer sein,

diese Freiheitsberaubung so selten wie möglich anzuwenden." Es müsse

endlich untersucht werden, warum so unterschiedlich häufig eingewiesen

wird. Der Liberale glaubt, dass in vielen Krisensituationen offene

Psychiatrien den Menschen genauso oder besser helfen könnten.

 

Formal sind die Hürden für die Unterbringung der Patienten hoch: Ein

Beamter des Ordnungsamtes muss die Einweisung billigen und ein Richter

den Patienten anhören. In den meisten Fällen folgt dieser dem Votum der

Ärzte, und auch der Ordnungsbeamte sei derselbe, "der sich sonst um

Falschparker kümmert", so Romberg.

 

*Die größte Angst der Patienten *

 

Dabei sind Zwangseinweisungen hoch umstritten. Selbtshilfegruppen wie

der "Verband der Psychiatrieerfahrenen" glauben, dass nur zehn Prozent

der eingelieferten Menschen tatsächlich sich selbst oder die Umwelt

gefährden. "Es ist immer eine Frage der gesellschaftlichen Zuschreibung,

ob jemand als Sonderling durchgeht, ob er eine schlechte Zeit hat oder

ob er als psychisch krank eingewiesen wird. Das ist Willkür", sagt ihr

Vorsitzender Matthias Seibt.

 

Auf der anderen Seite berichten Sozialarbeiter und Psychiater von

Menschen, die sich nicht helfen lassen wollen und deren Abstieg durch

eine Behandlung verhindert werden könne. Diese offenen Fragen will

Romberg nun klären lassen. Nur so könne den Hilfesuchenden auch die

Angst vor der psychologischen Hilfe genommen werden, die sie häufig

dringend benötigten. "Die geschlossene Station ist die größte Angst der

Patienten.

FR 12.3.10