Viel mehr für wenige

08.12.2009 / Kapital & Arbeit / Seite 9Inhalt jw

WSI-Verteilungsbericht 2009: Trotz Gewinneinbrüchen nach Börsencrash werden die Reichsten der Reichen gestärkt aus der Krise hervorgehen

Von Jörn Boewe

 

Der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen in der Bundesrepublik Deutschland dürfte 2009 brutto erstmals seit Jahren nicht weiter steigen. Eine Trendwende hin zu mehr Verteilungsgerechtigkeit bedeutet dies aber nicht. Darauf weist der in der vergangenen Woche veröffentlichte »Verteilungsbericht 2009« des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung hin. Der durch den Finanzcrash vom Herbst 2008 verursachte plötzliche Einbruch bei den Vermögenseinkommen führe zwar »rein rechnerisch zu einer steigenden Lohnquote«, zeige jedoch »keineswegs die Wohlstandsmehrung von Arbeitnehmern und ihren Familien« an, heißt es darin. Real habe die Krise »auch die Lohneinkommen sinken« lassen. Mittelfristig prognostiziert Verteilungsexperte Claus Schäfer eine Verschärfung der sozialen Unterschiede bei Einkommen und Vermögen. Durch die Politik der »schwarz-gelben« Regierung würden »zur Zeit die Weichen gestellt für noch mehr soziale Polarisierung durch anhaltende oder sogar verschärfte Umverteilung von unten nach oben«, so WSI-Chef Schäfer.

In der Tat sind die Gewinn- und Vermögenseinkommen im ersten Halbjahr 2009 auf gesamtwirtschaftlicher Ebene um rund 66 Milliarden Euro eingebrochen, während die Bruttolöhne (einschließlich Arbeitgeberbeiträge) trotz steigender Erwerbslosigkeit und Kurzarbeit immer noch um gut zwei Milliarden Euro anstiegen. Soweit die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Differenziert man nach Kapitalgesellschaften und privaten Vermögenseinkommen, relativiert sich das Bild: das Gros der Verluste betrifft erstere, letztere sind mit einem Minus von knapp sieben Milliarden verhältnismäßig glimpflich davongekommen.

Demgegenüber profitierte die Lohn­entwicklung im ersten Halbjahr 2009 zwar noch von nachwirkenden Tarif­abschlüssen aus der Zeit des Booms unmittelbar vor Ausbruch der Krise. »Nach Abzug von wieder erhöhten Lohnsteuern und Sozialabgaben« wären die Einkünfte der abhängig Beschäftigten allerdings netto um »gut drei Milliarden« Euro geschrumpft, betont Schäfer. Laut Destatis sind die durchschnittlichen Reallöhne im ersten Quartal 2009 um 0,4 und im zweiten Quartal um 1,2 Prozent gesunken – trotz immer noch außergewöhnlich niedriger Inflationsrate.

Betrachtet man den Zeitraum von etwa einem Jahrzehnt, zeichnet sich bei der Einkommensentwicklung ein klarer Trend ab: Seit der Jahrtausendwende ging der Anteil der Lohnabhängigen am Volkseinkommen kontinuierlich nach unten – egal, ob die Wirtschaft schwach oder kräftig wuchs, während Unternehmen und Kapitaleigentümer ein immer größeres Stück vom Kuchen bekamen. Lediglich 2007 und 2008, in der Spätphase des Aufschwungs, stabilisierte sich der Part der Lohneinkommen. Allerdings waren die »nachholenden« Tariferhöhungen weit davon entfernt, die kumulierten Reallohnverluste vorhergehender Jahre auch nur annähernd auszugleichen.

Sieht man sich die Lohnentwicklung als solche an, fallen zwei Besonderheiten ins Auge: Der Osten und das Prekariat sind offenbar dauerhaft abgekoppelt. Zwar sei in der Boomphase das ostdeutsche Lohnniveau »geringfügig stärker« an das westdeutsche herangeführt worden, schreibt Schäfer, allerdings blieben »die Lohnrückstände zwischen Ost und West mit 27,5 Prozent für die Gesamtwirtschaft immer noch außergewöhnlich groß«. Hinsichtlich der »Minijobber« vermerkt der Bericht, daß diese »vermutlich weit mehr als die früher gesetzlich vorgegebene maximale Anzahl von 15 Stunden pro Woche arbeiten müssen und daher einen sehr niedrigen effektiven Stundenlohn beziehen dürften – den das Statistische Bundesamt aber mangels Erhebung der Arbeitszeit der Minijobber nicht ausweist«.

Aussagekräftiger als die Trends bei den Einkommen ist wohl noch die Entwicklung der Vermögen: Hier büßten die privaten Haushalte 2008 durch Buchverluste und Marktwertkorrekturen netto 140 Milliarden Euro ein – immerhin viermal soviel wie beim Platzen der New-Economy-Blase 2002. Allerdings beträgt das private Finanzvermögen den Angaben zufolge »nach wie vor 4400 Milliarden Euro« – und hat sich damit in nicht ganz zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt: 1991 waren es noch 1900 Milliarden. Zwei Drittel davon werden ganz allein von den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung kontrolliert, während die ärmere Hälfte praktisch nichts besitzt.

Der Kurs der neuen Bundesregierung von CDU/CSU und FDP garantiere, daß dies sich diese Trends künftig eher verstärken dürften, so Schäfer: »Fast alles, was die neue Bundesregierung bisher beschließt oder ins Auge faßt, atmet nicht nur ein ›Weiter so‹ mit der Umverteilung von unten nach oben, sondern sogar ein ›Erst recht und schärfer noch‹.« So entlasteten etwa die Erhöhung der Kinderfreibeträge oder die für 2011 angekündigten Einkommenssteuersenkungen aufgrund der progressiven Steuersystematik Haushalte mit höheren Einkommen überproportional. Die von der Regierung versprochenen »Wachstumsimpulse« dürften sich kaum einstellen, da gerade Besserverdienende das zusätzliche Geld eher sparten als konsumierten. »Solche Steuerentlastungen haben schon in der Vergangenheit nicht die erhofften Wachstumsimpulse gezeigt«, so Schäfer. »Sie haben aber dauerhaft den Handlungsspielraum der öffentlichen Hand erheblich beschränkt – zu Lasten von Sozialleistungen, Infrastruktur und anderen Wachstumspotentialen