"Sie wurden regelrecht hingerichtet"
Eine Wohnung in Karlsruhe sollte am Mittwoch zwangsgeräumt
werden. Doch der 53-jährige Bewohner nimmt mehrere Geiseln und tötet am Ende
vier Menschen und sich selbst Von Olivia Schoeller
und Ursula Knapp
Karlsruhe Dem leitenden Oberstaatsanwalt von Karlsruhe fiel
es sichtlich schwer, Fassung zu wahren, als er am Mittwoch gegen 16 Uhr vor die
Presse trat: "Der schreckliche Ablauf dieses Tages war geplant
gewesen", sagte Gunter Spitz und dann folgte der ernüchterndste
Satz, den ein Ermittler sagen kann: "Für uns gab es nichts zu retten und
nichts zu verhindern."
Fünf Menschen waren an diesem Tag nach einer dramatischen
Geiselnahme ums Leben gekommen. Neben dem Geiselnehmer, einem
Gerichtsvollzieher, dem neuen Wohnungsinhaber und einem Mitarbeiter des
Schlüsseldienstes wurde auch die Lebensgefährtin des Täters tot aufgefunden.
Sie war bis vor Kurzem die Eigentümerin der Wohnung.
Nach Angaben der Polizei begannen die tragischen Ereignisse
gegen 8 Uhr morgens. Der 47-jährige Gerichtsvollzieher stand in Begleitung des
neuen Wohnungseigentümers, eines Sozialarbeiters und dem 33-jährigen
Mitarbeiter einer Schließfirma vor der Wohnung in der ehemaligen
US-Armee-Siedlung in der Karlsruher Nordstadt. Sie sollten die Wohnung räumen,
nachdem sie im April 2012 zwangsversteigert worden war. Vor dem Haus warteten
bereits die Möbelpacker. Als nach mehrmaligem Klingeln nichts passierte, wollte
der Mitarbeiter des Schlüsseldienstes das Schloss gerade öffnen, als der Täter
die Tür doch noch aufmachte.
Der 53-Jährige bat die vier Männer in die Wohnung, führte
sie ins Wohnzimmer und forderte sie auf, Platz zu nehmen. Als diese sich
weigerten, verließ er das Zimmer und kehrte mit einer Pistole zurück. Als der
Gerichtsvollzieher auch der zweiten Aufforderung nicht nachkam, sich zu setzen,
schoss ihm der Täter zweimal in den Oberschenkel. Dann zwang er den Mitarbeiter
des Schlüsseldienstes, die anderen Geiseln zu fesseln. Als der Täter den
Schlosser dann selbst fesseln wollte, versuchte dieser, ihm die Waffe aus der
Hand zu schlagen. Das misslang, worauf der Täter dem 33-Jährigen mehrmals in
die Brust und den Kopf schoss. Der mehrfache Familienvater sank schwer verletzt
zu Boden.
Die Bitten der anderen Geiseln, einen Notarzt zu rufen,
lehnte der Schütze ab. Stattdessen verließ er mehrmals das Wohnzimmer, um Bier
und Zigaretten zu holen. Nach 45 Minuten gestattete der Täter dann dem
Sozialarbeiter, die Wohnung zu verlassen. Zuvor zeigte er ihm noch sein
Waffenarsenal. Nach Polizeiangaben handelte es sich dabei unter anderem um eine
Übungs-Handgranate, eine Waffe mit langem Magazin und reichlich Munition.
Um 8.55 Uhr wählte der Sozialarbeiter die Notrufnummer der
Polizei, das Sondereinsatzkommando traf ein. Einen Zugriff wagten die
Polizisten jedoch nicht. Man habe mehrfach versucht, mit dem Täter
telefonischen Kontakt aufzunehmen, sagte der Einsatzleiter. Doch alle Versuche
blieben erfolglos.
Als später Brandgeruch aus der Wohnung drang, begann das
Sondereinsatzkommando mit dem Zugriff - das war um 11.48 Uhr. Allerdings war
durch das Feuer, das der Täter offenbar auf dem Teppich im Wohnzimmer gelegt
hatte, der Rauch so dicht, dass die Beamten kaum etwas sehen konnten. Mehrere
Polizisten erlitten eine Rauchvergiftung. Erst nach und nach wurde die
schreckliche Tragödie erkennbar: "Die Geiseln wurden regelrecht
hingerichtet", sagte ein Polizeisprecher.
Der Mitarbeiter des Schlüsseldienstes sei tot vor dem Sofa
liegend gefunden worden. Der Gerichtsvollzieher und der neue Eigentümer der
Wohnung wurden mit auf dem Rücken gefesselten Händen gefunden. Sie waren durch
Kopfschüsse getötet worden. In einem weiteren Zimmer entdeckte die Polizei die
Leiche der 55-jährigen Lebensgefährtin des Täters, die offenbar mit einem
aufgesetzten Brustschuss getötet wurde. Ob sie schon vor Einlass der späteren
Geiseln erschossen wurde, soll die Obduktion klären. Als Letztes entdeckten die
Beamten des SEK die Leiche des Täters. Der seit Jahren arbeitslose Mann hatte
sich durch einen Kopfschuss mit einem Schrotgewehr selbst gerichtet.
Die Polizei hatte den Tatort in einem Umkreis von 500 Metern
abgesperrt. In den umliegenden Schulen und Kindergärten durfte keiner mehr rein
oder raus. Auch Eltern konnten nicht zu ihren Kindern. Man wollte die
Bevölkerung nicht gefährden, hieß es.
Während der Pressekonferenz zeigten die Beamten ihre
Erschütterung, vor allem, als sie über den Tod des 47-jährigen
Gerichtsvollziehers und des 33-jährigen Schlossers sprachen. Beide Männer
hatten Familie, die Ehefrau des Schlossers ist schwanger.
Anfängliche Gerüchte, wonach der Täter Jäger war,
bestätigten sich nicht. Er war bisher auch nur einmal strafrechtlich
aufgefallen. Im Jahr 2003 verübte er einen Ladendiebstahl. Damals hatte er zwar
ein Messer dabei, aber nicht eingesetzt. Auch der Gerichtsvollzieher hatte
offenbar keinerlei Hinweise auf ein aggressives Verhalten. Allerdings war der
langjährige Lebensgefährte der Eigentümerin auch nicht offiziell in der Wohnung
gemeldet, sein Name stand aber an der Klingel.
Von der Möglichkeit, die Polizei bei der Zwangsräumung mitzunehmen, hatte der Gerichtsvollzieher keinen Gebrauch gemacht. Er hatte für sich und seine Begleiter wohl keine Gefahr gesehen.fr 5.7.12