© Copyright Frankfurter Rundschau
Ausgabe: Stadtausgabe (Nr. 247)
Datum: Mittwoch, den 22. Oktober 2008
Seite: 14
OECD-Studie
Berlin. Armut und Ungleichheit der Einkommen in Deutschland haben nach einer OECD-Studie seit dem Jahr 2000 stärker zugenommen als in den anderen Industriestaaten.
"Trotz anhaltender staatlicher Umverteilung durch Steuern und Transfers
erhöhte sich die Kluft zwischen Reich und Arm", hieß es in der am Dienstag
in Berlin vorgestellten Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Armutsquote liege inzwischen knapp
über dem OECD-Durchschnitt, während sie Anfang der 90er Jahre um ein Viertel
niedriger ausgefallen sei.
Hauptgrund für die wachsende Ungleichheit sei Arbeitslosigkeit. Der Anteil der Haushalte
ohne jedes Erwerbseinkommen sei bis 2005 auf rund ein Fünftel gestiegen, wobei
Rentnerhaushalte nicht mitgezählt werden. Das ist der höchste Wert innerhalb
der OECD, der 30 Industrieländer angehören. Stärkere Anreize zur
Arbeitsaufnahme wie die Hartz-Reformen wiesen daher
in die richtige Richtung, sagte OECD-Experte Michael Förster.
Auch die Spreizung der Löhne und Gehälter nahm der Studie zufolge von 1995 bis
2005 "drastisch zu". "Vor allem bei den Männern sind die hohen
Einkommen deutlich schneller gewachsen als die niederen", hieß es. Der
Trend zu einer ungleichen Verteilung der Einkommen sei aber im vergangenen Jahr
zu einem vorläufigen Ende gekommen. Soziale Transfers und Einkommensteuern
verringerten die Einkommensungleichheit um ein Drittel und die Armut um die
Hälfte. Das entspreche genau dem OECD-Schnitt.
Noch ungleicher verteilt sind die Vermögen. Die obersten zehn Prozent besitzen
etwa die Hälfte des Gesamtvermögens - die einkommensstärksten zehn Prozent
erzielen dagegen nur etwas mehr als ein Viertel des Gesamteinkommens.
Deutlich zugenommen hat den Angaben nach die Kinderarmut.
1985 lebten noch sieben Prozent der Kinder in einem Haushalt, der weniger als
die Hälfte des deutschen Durchschnittseinkommens bezog. 2005 seien es bereits
16 Prozent gewesen. Bei Kindern von Alleinerziehenden weise Deutschland nach
Japan, Irland, den USA, Kanada und Polen die höchste Armutsquote auf. Dagegen
blieb die Armutsrate älterer Menschen stabil bei rund neun Prozent, während sie
im OECD-Durchschnitt 13 Prozent beträgt.
Langzeitarmut ist der OECD zufolge dagegen ein Phänomen, das in Deutschland
seltener als anderswo auftritt. Etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung sind
davon betroffen, gelten also über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren als
arm. Nur in Dänemark und den Niederlanden sei der Anteil noch geringer, der
OECD-Schnitt liege doppelt so hoch. Auch materielle Entbehrungen seien in
Deutschland seltener als in vielen anderen Ländern.
Etwa acht Prozent der Bevölkerung müssten deutliche Abstriche am Lebensstandard
machen - im OECD-Schnitt seien es zwölf Prozent. (dpa)
[ document info ]
Copyright © FR-online.de 2008
Dokument erstellt am 21.10.2008 um 10:16:58 Uhr
Letzte Änderung am 21.10.2008 um 11:17:53 Uhr
Erscheinungsdatum 21.10.2008
URL:
http://www.fr-online.de/top_news/?em_cnt=1616673&em_loc=2091
22.10.2008 / Titel / Seite 1Inhalt jw
|
Armut und Einkommensungleichheit haben in Deutschland in den
vergangenen Jahren wesentlich schneller zugenommen als in fast allen anderen 29
Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD). Das geht aus einer am Dienstag in Paris vorgestellten Studie der
Staatengruppe hervor. Mit einer Armutsquote von elf Prozent der Bevölkerung
liegt Deutschland mittlerweile weit über dem OECD-Durchschnitt. Als Ursache
benennt die Studie vor allem das rasante Auseinanderdriften der Einkommen.
Während die Kluft zwischen arm und reich in Ländern wie Frankreich, Spanien,
Irland, Griechenland und der Türkei 1985 bis 2005 leicht zurückging, ist sie in
Deutschland enorm angewachsen.
Besonders betroffen von Armut sind inzwischen Kinder. »So blieb die Armutsquote
bei Menschen über 65 in der Zeit von 1995 bis 2005 stabil bei rund neun
Prozent, während sie bei Kindern im gleichen Zeitraum von 11 auf 16 Prozent
gestiegen ist – und damit fünfmal so schnell wie im OECD-Mittel«, lautet das
Fazit. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Arbeitsmarkt. Allein von 1995
bis 2005 ist der Anteil der Menschen, die in einem Erwerbslosenhaushalt leben,
von 15,2 auf 19,4 Prozent gestiegen und damit auf den höchsten Wert innerhalb
der OECD. Zudem seien die Transferleistungen in Deutschland im Hinblick auf
Armutsvermeidung und -bekämpfung »nicht übermäßig zielgerichtet«, heißt es in
der Studie.
Wie zur Untermauerung der OECD-Studie präsentierten am Dienstag auch das
Statistische Bundesamt (Destatis) und die
Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) neue Daten zur
Überschuldung privater Haushalte und zu Verbraucherinsolvenzen. Auf einer
Pressekonferenz in Berlin wie AG-SBV-Vize Marius Stark darauf hin, daß sich die Zahl der überschuldeten Haushalte von 1990 bis
2007 auf rund drei Millionen mehr als verdoppelt habe. Diese Haushalte sind
kurz- und mittelfristig nicht in der Lage, mit ihrem Einkommen laufende
Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Weitere 1,2 Millionen gelten als akut
überschuldungsgefährdet. Auch die Erhebungen des Destatis
und der AG SBV kommen zu dem Ergebnis, daß
Erwerbslosigkeit die Hauptursache für Überschuldung ist.
Da die meisten Länder im Zuge von »Sparmaßnahmen« die Unterstützung für
Schuldnerberatungsstellen teilweise drastisch eingeschränkt haben, könnten aber
nur zehn bis 15 Prozent der Betroffenen qualifizierte Hilfe und Betreuung in
Anspruch nehmen. Immer nach Aussendung der Doku-Soup
»Raus aus den Schulden« beim Privatsender RTL würden sich Tausende Menschen bei
den Beratungsstellen melden, die man wegen fehlender Kapazitäten dann für
einige Monate vertrösten müsse, so Stark. Die Anzahl der bundesweit zur Zeit rund 2000 gemeinnützig tätigen Schuldnerberater
müsse daher mindestens verdoppelt werden, forderte der AG-SBV-Sprecher. Denn
ohne intensive Betreuung könnten Wege aus der Schuldenfalle, wie z.B. die
Einleitung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens, das
die Restschuldbefreiung nach sechs Jahren »gläubigerkonformem Verhalten«
vorsieht, nicht beschritten werden. Statt dessen
träten immer mehr gewerbliche »Schuldenregulierer«
auf den Plan, die mit »Sofortberatung« werben. Wer aus nackter Verzweiflung
deren Dienste in Anspruch nehme, habe danach aufgrund der horrenden Gebühren
oftmals noch wesentlich mehr Schulden als vorher, warnte Stark.
Quelle:
Verlag: Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH
Publikation: Rheinische Post Düsseldorf
Ausgabe: Nr.247
Datum: Mittwoch, den 22. Oktober 2008
Seite: Nr.5
Relative Armut in Deutschland stark gestiegen
21. Oktober 2008 - 09:54 Uhr wz
Einkommensunterschiede und relative Armut haben einer OECD-Studie zufolge zwischen
2000 und 2005 stark zugenommen. (Symbolbild)
Berlin (dpa) - In Deutschland haben Einkommensunterschiede und relative Armut einer
aktuellen OECD-Studie zufolge zwischen den Jahren 2000 und 2005 stark zugenommen.
Unterhalb der Armutsschwelle lebten 10,5 bis 11 Prozent der Gesamtbevölkerung.
«Deutschland liegt hier leicht über dem OECD-Durchschnitt», sagte Michael Förster
vom OECD-Direktorat für Beschäftigung, Arbeit und Soziales am Montag in Berlin.
Dänemark und Schweden erreichten nur einen Wert von 5 Prozent. Deutschland gehöre mit
Tschechien, Kanada und Neuseeland auch zu den Ländern, in denen die Kinderarmut am
stärksten gewachsen sei.
Alleinerziehende und Kinder sind der Studie zufolge überdurchschnittlich, Rentner
dagegen unterdurchschnittlich von Armut betroffen. In Bezug auf die Armutsrisiken
spiele Erwerbslosigkeit eine große Rolle. Deutschland weise im OECD-Vergleich die
höchste Rate an Haushalten ohne erwerbstätige Person auf.
Als von Armut bedroht gelten nach der OECD-Definition Menschen mit weniger als 50
Prozent des mittleren Einkommens im jeweiligen Land. Dabei wird nicht der Mittelwert
aller Einkommen herangezogen, sondern der deutlich niedriger liegende Median, der die
gesamte Bevölkerung genau in der Mitte in zwei gleich große Gruppen teilt.
Im OECD-Durchschnitt liegt das Armutsrisiko in Haushalten, in denen keine Person
arbeitet, den Angaben zufolge bei etwa 30 Prozent. Bei einem Einkommen im Haushalt
senke es sich auf 12 bis 13 Prozent und bei mehreren auf 3 Prozent. In Deutschland
dagegen sei die «Einkommensarmutsrate der Haushalte ohne Erwerbseinkommen bei 40
Prozent», erklärte Förster. Bei einem Einkommen sinke es auf 7 bis 8 Prozent, bei
mehreren auf 1 Prozent.
Im Jahr 2006 hat sich die Einkommensungleichheit in Deutschland laut dem Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weiter verschärft. Ein Jahr später, angeregt
durch den konjunkturellen Aufschwung, habe sich die Lage wieder verbessert. «Was in
absoluten Zahlen bedeutet, dass 1,2 Millionen Menschen in Deutschland aufgrund der
verbesserten Arbeitsmarktsituation nicht mehr von Armut betroffen sind», sagte Markus
Grabka vom DIW.
Die konjunkturelle Entwicklung stelle sich seit Mitte 2008 aber wieder deutlich
negativer dar. Die Arbeitsmarktstrukturen hätten sich in den vergangenen zehn Jahren
mit mehr Leih- und Zeitarbeit sowie geringfügiger Beschäftigung stark verändert.
Diese Beschäftigten «werden jetzt im Rahmen des konjunkturellen Abschwungs relativ
schnell aus dem Arbeitsmarkt hinauskatapultiert werden. Was unserer Einschätzung nach
das Ausmaß an Einkommensarmut für das Jahr 2009 wieder steigen lässt», sagte Grabka.
--