Reichtum
nutzen, Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken Papier von SPD-Linken für eine
neue Sozialpolitik / Eine Dokumentation
Der Befund des neuen Armuts- und Reichtumsberichts
(ARB) der Bundesregierung zu den Lebenslagen in Deutschland fordert eine
sozialdemokratische Antwort.
Die Einkommensverteilung klafft so weit auseinander
wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Ursache ist die
Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Schwächung der Tarifautonomie.
Aber auch Bund und Länder werden in den letzten
Jahren immer weniger ihrer Aufgabe gerecht, durch eine entsprechende Finanz-,
Steuer-, Vermögensbildungs- und Sozialpolitik die Einkommen je nach sozialer
Belastbarkeit und zum Wohle der Allgemeinheit umzuverteilen.
Das alles führt dazu, dass:
- die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht,
- die Angst der Mittelschicht vor Armut wächst und
- die Aufstiegsmöglichkeiten geringer werden, weil
die Eliten sich zunehmend abschotten.
Vermögensverteilung
und Armutsrisiko
Die zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich zeigt
sich vor allem in der Verteilung der Vermögen. Rund zwei Drittel der
Bevölkerung in Deutschland verfügen über kein oder nur ein sehr geringes
Vermögen (laut 3. Armuts- und Reichtumsbericht besitzen 50 Prozent der
Bevölkerung lediglich zwei Prozent des Vermögens). Andererseits verfügen die wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte über mittlerweile
fast 60 Prozent des gesamten Vermögens (2. Armutsbericht: 46,5 Prozent). So
steigerten allein die 300 reichsten Deutschen im letzten Jahr ihre Vermögen um
80 Milliarden Euro auf 475 Milliarden Euro.
Das Armutsrisiko lag im 1. Armutsbericht bei 12,1
Prozent, im 2. Armutsbericht bei 13,5 Prozent und im 3. Armutsbericht bei 18
Prozent (Längsschnittstudie Sozio-ökonomisches
Panel). Für Kinder ist das Armutsrisiko von 15 Prozent im Jahr 2003 auf 26
Prozent im Jahr 2005 (Längsschnittstudie Sozio-ökonomisches
Panel) angestiegen.
Beschäftigungssituation
Zwar ging die Arbeitslosenquote zurück (von 13
Prozent in 2005 auf 10,1 Prozent in 2007), die Armutslöhne nahmen allerdings
zu. Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnbereich lag 2005 bei 36,4
Prozent. Ursache hierfür ist die massive Ausweitung des Niedriglohnsektors. Prekäre
Beschäftigung drückt auf das allgemeine Lohnniveau (Lohndumping).
Das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen ist
stetig gesunken: Von 19 255 Euro im Jahr 2002 auf 18 778 Euro im Jahr 2005.
Gleichzeitig kam es zu einer stark gestiegenen
Spreizung der Lohneinkommen zwischen den Armutslöhnen einerseits und
Managergehältern andererseits.
Die Kaufkraft sinkt (Preissteigerungen bei
Lebensmitteln, Kraftstoff und Energie), die Mittelschicht schrumpft.
Diese Entwicklung, die im 3. Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung aufgezeigt wird, müssen wir umkehren.
Politische Entscheidungen der vergangenen Jahre, die diese Entwicklung bewirkt
bzw. verstärkt haben, müssen korrigiert werden. Klar muss sein: Die SPD ist die
einzige Partei, die die Kraft und den Willen hat, Armut in Deutschland zu
bekämpfen und Aufstiegschancen zu garantieren.
Durch sozialdemokratische
Arbeits- und Arbeitsmarktpolitik
- Einführung eines gesetzlichen, flächendeckenden
Mindestlohns.
- Beschränkung von Leiharbeit und Abschaffung der
Befristung ohne Sachgrund.
- Gleiche Rechte für LeiharbeiterInnen
und Stammbelegschaft.
- Begrenzung der Höchststundenzahl im Rahmen eines
Minijobs auf 15 Stunden, Einbeziehung aller Beschäftigungsverhältnisse oberhalb
einer Bagatellgrenze in die Sozialversicherungspflicht.
- Gesetzliche Regelung für
Praktikanten/Praktikantinnen.
- Umwandlung der Ein-Euro-Jobs in sozialversichungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
- Ausbau von Umschulungs- und
Qualifizierungsmaßnahmen.
- Ausbau des öffentlichen Beschäftigungssektors,
insbesondere im vorschulischen und schulischen Bereich (Ganztagseinrichtungen
mit qualifiziertem Personal).
Durch sozialdemokratische Bildungsoffensive
- Recht auf Bildung für alle.
- Flächendeckendes und gebührenfreies Angebot von
Ganztagsbetreuungsangeboten und Ganztagsschulen.
- Längeres gemeinsames Lernen: Überwindung des
dreigliedrigen Schulsystems.
- Gebührenfreiheit des Erststudiums und Eintreten
für ein angemessenes BAföG.
- Weiterentwicklung des Übergangssystems –
qualifizierte Abschlüsse statt Warteschleifen.
- Stärkung der Weiterbildung.
Durch einen starken Sozialstaat
- Entwicklung der Rente zu einer universalen
Sozialversicherung (orientiert am Schweizer Modell): Alle zahlen entsprechend
ihrer Leistungsfähigkeit ein, aus allen Einkommensarten und ohne
Beitragsbemessungsgrenze. Mindestrente bei langjähriger Beitragszahlung
oberhalb des Niveaus der Grundsicherung und Deckelung
der Rentenhöhe. Zusätzlich obligatorische Betriebsrente. Zurücknahme der Rente
mit 67.
- Fortführung der Altersteilzeitregelung und
Einführung einer Altersgleitzeitregelung (flexible Übergänge ins Rentenalter).
Teilrente attraktiv machen.
- Entwicklung der Krankenversicherung /
Pflegeversicherung zu Bürgerversicherungen und Finanzierung eines höheren
Anteils aus Steuermitteln. Zurücknahme der Zuzahlungen und Praxisgebühren im
Gesundheitswesen und Aussetzung des Gesundheitsfonds.
- Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze
und Einführung eines eigenständigen Regelsatzes für Kinder, Ausweitung der
einmaligen Bedarfe, deutliche Anhebung des Vermögensfreibetrages.
Durch gerechte Steuern
- Wiedereinführung der Vermögensteuer, weil bereits
ein Vermögensteuersatz von einem Prozent zu Mehreinnahmen von 16 Milliarden
Euro führen würde (bei einem Freibetrag von 500 000 Euro), die für
Investitionen in Bildung und Kinderbetreuung verwendet werden.
- Ausgestaltung der Erbschaftsteuer mit dem Ziel
eines Aufkommens von wenigstens zehn Milliarden Euro, bei hohen Freibeträgen
für Ehegatten und Kinder.
- Steuerwettbewerb begrenzen durch Harmonisierung
des Unternehmensteuerrechts und Gewährleistung von Mindeststeuersätzen auf
europäischer Ebene, um die Steuerzahlung internationaler Unternehmen zu
sichern.
- Steueroasen trockenlegen: Verstärkte Bekämpfung
von Steuerhinterziehung durch personelle Verstärkung bei Betriebsprüfungen
sowie Steuerfahndung durch die Länder und Erhöhung des politischen Drucks auf
internationaler Ebene.
- Neujustierung der Progression bei der
Einkommensteuer. Die unteren und mittleren Einkommen müssen entlastet, höchste
Einkommen stärker belastet werden.
- Wiedereinführung einer Entfernungspauschale mit
einer spürbaren sozialen Komponente.
- Neuorientierung des Familienleistungsausgleichs:
vom Ehegattensplitting zu kinderbezogenen Leistungen.
Für eine sozialdemokratische Arbeits- und
Arbeitsmarktpolitik – für eine sozialdemokratische Bildungsoffensive – für
einen starken Sozialstaat – für gerechtere Steuern.
Die SPD ist die einzige Partei, die die Kraft und
den Willen hat, Reichtum zu nutzen, Armut zu bekämpfen und die Mittelschicht zu
stärken. Über gerechtere Steuern und eine sozialdemokratische Arbeits- und
Arbeitsmarktpolitik wollen wir eine Bildungsoffensive und einen starken
Sozialstaat finanzieren.
Erstunterzeichner/Innen:
Klaus Barthel, MdB
Thomas Beyer, MdL, Vorsitzender AWO Bayern, stellv.
Vorsitzender Landtagsfraktion
Rainer Bliesener,
DGB-Landesvorsitzender BW
Willi Brase, MdB
Leni Breymaier,
Bezirksvorsitzende, Verdi BW
Marco Bülow,
MdB
Martin Burkert,
MdB
Dr. Herta Däubler-Gmelin, MdB
Bernd Dreute,
BR-Vorsitzender Krombacher Brauerei
Hartwig Durt,
Gewerkschaftssekretär, Siegen
Prof. Dr. Dieter Eißel,
Uni Gießen
Peter Falk, Vorsitzender Bezirkstagsfraktion
Oberbayern
Udo Gebhardt, DGB-Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt
Renate Gradistanac, MdB
Gernot Grumbach, MdL, stellv. Landesvorsitzender
Hessen
Wolfgang Gunkel, MdB
Rita Haller-Haid, MdL,
Tübingen
Günter Hensch, Kirchlicher
Dienst in der Arbeitswelt, Siegen
Dierk Hirschel, DGB
Wolfgang Jörg, MdL, Vorsitzender SPD-UB Hagen
Herbert Kastner,
Betriebsratsvorsitzender ThyssenKrupp, Bochum
Klaus Kirschner, MdB a. D.
Stefan Körzell,
DGB-Gewerkschaftssekretär
Bärbel Kofler, MdB
Andrea Kocsis,
Bundesvorstand Verdi
Lothar Krauß, Vorsitzender Gewerkschaft Transnet
Wolfgang Kreissl-Dörfler, MdEP
Georg Kronawitter, Oberbürgermeister a. D.
Helga Lopez, MdB
Hanjo Lucassen, DGB-Landesvorsitzender Sachsen
Udo Lutz, AfA-Vorsitzender BW, Betriebsrat bei
Bosch/Stuttgart
Lothar Mark, MdB
Claus Matecki,
DGB-Gewerkschaftssekretär
Hilde Mattheis, MdB
Margret Mönig-Raane,
Bundes-
vorstand Verdi
Albrecht Müller, MdB a. D., Journalist
Detlef Müller, MdB
Dietmar Muscheid,
DGB-Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz
Wolfgang Otto, Betriebsratsvor-
sitzender ThyssenKrupp
Gerold Reichenbach, MdB
Sigrid Reihs,
Landessozial-
pfarrerin Evangelische Kirche
Westfalen
René Röspel, MdB
Christine Rudolf, MdL BW
Adelheid Rupp, MdL,
AsF-Vorsitzende Bayern
Armin Schild, Gewerkschaftssekretär IG Metall
Horst Schmidbauer, MdB a. D., Parteiratsmitglied
Guntram Schneider, DGB-Vorsitzender NRW
Paul Schobel,
Betriebsseelsorger, Böblingen
Ottmar Schreiner, MdB
Lothar Schröder, Bundesvorstand Verdi
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk,
MdB a.D.
Andreas Steppuhn, MdB
Jella Teuchner, MdB
Rüdiger Veit, MdB
Gerold Vogel, Vorsitzender
Europäischer Betriebsrat ThyssenKrupp
AG
Eberhard Weber, Gewerkschafts-
sekretär, Dortmund
Jürgen Weiskirch, Bezirksgeschäftsführer Verdi,
Siegen
Klaus Wiesehügel,
Bundesvorsitzender IG Bau
Ludwig Wörner, MdL,
AfA-Vorsitzender Bayern
Uta Zapf, MdB
SPD
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Ausgabe: Stadtausgabe (Nr. 207)
Datum: Donnerstag, den 04. September 2008
Seite: 4