Nachts in der B-Ebene

 Von Hanning Voigts

 „Ich bin die Nummer eins“: Ibo bittet zum Tanz. Foto: Sascha Rheker

Seit der Eröffnung der B-Ebene der Station Hauptwache in Frankfurts Mitte Ende der 60er Jahre schlafen dort Obdachlose. Im Winter gleich nochmal mehr. Die Stadt duldet sie, weil es eh nicht genug Schutzräume gibt. was aber da unten wirklich passiert, das weiß niemand. Ein Besuch.

Gegen 22 Uhr hat sich der Wind gelegt. Rund um die Hauptwache ist es ruhig geworden, nur vereinzelt huschen Passanten mit Wollmützen und hochgeschlagenem Kragen vorbei. Der Himmel ist wolkenlos, der Schnee auf dem Boden verharscht. Die Kälte kriecht selbst durch Winterschuhe und zwei Paar Socken. Drei Grad unter Null.

An der Treppe, am Eingang zur B-Ebene, warten bereits die ersten Übernachtungsgäste. Männer mit Koffern und schweren Taschen, die untereinander leise reden, manche von ihnen mit einem Deckenturm auf der Schulter. Sie sind früh gekommen, um sich einen guten Platz zu sichern. Wie jeden Abend bleibt ab 22 Uhr ein Teil der B-Ebene geöffnet, um obdachlosen Menschen ein Mindestmaß an Kälteschutz zu bieten. Seit mehr als 15 Jahren gibt es diese Einrichtung, sie ist im Winter ein fester Bestandteil der Infrastruktur für Obdachlose.

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„Überlebenssicherung“ biete die B-Ebene, sagt Robert Heuser, mehr aber auch nicht. Der 42-Jährige arbeitet seit Jahren als Straßensozialarbeiter, er kennt die meisten der 120 von Frankfurts rund 2300 Wohnungslosen, die bei diesen Temperaturen auf der Straße schlafen. Viel ausrichten könne er bei den Besuchern der B-Ebene meist nicht, sagt Heuser. „Wir können hier unten nicht schnell eine Lebensberatung machen.“ Um helfen zu können, muss man Vertrauen aufbauen.

60-80 Menschen pro Nacht

Zusammen mit den Mitarbeitern vom Kältebus des Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten, die gegen 22 Uhr Tee und Decken verteilen, sieht Heuser in der B-Ebene nach dem Rechten, wechselt ein paar Worte, bietet an, Menschen zur Übernachtungsstätte am Ostpark zu fahren. „Wenn wir denken, jemand wäre dort besser aufgehoben, versuchen wir, ihn zu überreden“, sagt Heuser. Aber gegen seinen Willen kann er niemandem helfen. Und viele der 60 bis 80 Menschen, die abends herkommen, wollen ungern in eine Notunterkunft. Dort müssten sie auf engem Raum mit Fremden zurechtkommen.

Unten in der B-Ebene richten sich die ersten Schlafgäste bereits für die Nacht ein, mit Decken und Schlafsäcken, Pappkartons und Isomatten. Die Stimmung ist ruhig, routiniert. Auch wenn die große Halle ungeheizt ist und mit Neonlicht und gekacheltem Boden nicht gerade zum Verweilen einlädt, ist es spürbar wärmer als draußen. Und windstill.

Auf einer Decke sitzt Adrian und zieht sich die Schuhe aus. Aus Rumänien komme er. „Aber mein Land ist Europa.“ Seit drei Jahren lebt der 48-Jährige in Frankfurt auf der Straße, davor sei er in London, Johannesburg und Mexiko-Stadt gewesen. „Aber in Deutschland ist es am besten“, findet er. Im Sommer schlafe er draußen, nur im Winter sei ihm das zu kalt. Er finde es okay in der B-Ebene.

Schräg gegenüber, auf der anderen Seite des Schlafbereichs, steigt unterdessen eine kleine Party. Eine Gruppe bulgarischer Männer hat sich dort niedergelassen, einer von ihnen hat eine Klarinette ausgepackt. „Ich bin Ibo“, sagt er in gebrochenem Deutsch. „Frankfurts Nummer eins für bulgarische Musik.“ Laut spielt Ibo zum Tanz auf, einige der Männer lachen und klatschen im Takt, einer lässt sich zu einem spontanen Tänzchen hinreißen.

Viele hier sind aus Osteuropa

Neben der fröhlichen Szene sitzt Simeonof und blickt düster drein. Der 42-jährige, untersetzte Mann kommt ebenfalls aus Bulgarien und lebt seit etwa fünf Jahren in Frankfurt. Wie alle seine Landsleute hier arbeite er auf dem Bau, sagt er – wenn es Arbeit gebe. „Jeden Morgen gehen wir zur Hanauer Landstraße und hoffen, dass uns jemand für einen Tag mitnimmt.“ Jetzt sei er schon lange ohne Job und habe daher auch seine Unterkunft verloren.

Er fände es gut, wenn die Stadt Unterkünfte für Menschen wie ihn hätte, sagt er dann. Kleine Zimmer für 150 bis 200 Euro, aus denen man nicht sofort rausfliege. Denn auf dem Bau werde man oft betrogen: „Du arbeitest zwei Wochen, und hinterher kriegst du kein Geld.“

Menschen wie Simeonof sind mittlerweile die Hauptnutzer der B-Ebene. Sie machen drei Viertel der Menschen aus, die hier übernachten, sagt Streetworker Johannes Heuser. Es sind Menschen aus Polen, Rumänien und Bulgarien, viele von ihnen Roma, die in Frankfurt auf der Straße leben, aber keinen Rechtsanspruch auf Unterbringung haben. Die Beobachtung, dass immer mehr Menschen aus Osteuropa auf der Straße leben, kann man auch in deutschen Städten wie Hamburg oder Berlin machen. Seit 2004 die EU-Osterweiterung in Kraft getreten ist, gilt freier Verkehr für Waren und Dienstleistungen – aber auch für Menschen, die auf eine bessere Zukunft hoffen.

Wecken ist um 5.30 Uhr

In Frankfurt sei die Situation sogar noch relativ entspannt, findet Heiko Ewald, Leiter der Wohnungslosenhilfe beim Frankfurter Verein für soziale Heimstätten. Auf die Dauer könne sein Verein den Rumänen und Bulgaren aber nicht helfen. „Damit muss sich die Gesellschaft, müssen sich alle beschäftigen“, so Ewald. Auch Georg Bastian vom Diakonischen Werk sagt, niemand wisse so recht, was man mit den osteuropäischen Obdachlosen machen solle. Außer sie mit Kleidung, Essen und Getränken zu versorgen. „Unsere Tagesstätten werden von ihnen regelrecht überrannt“, sagt Bastian.

Einen Mangel an Unterkunftsplätzen beklagt auch Wolfgang, der es sich in der B-Ebene gerade in seinem Schlafsack bequem gemacht hat. Er komme seit Wochen hierher, weil die meisten Notunterkünfte belegt seien. „Da ist kein Unterkommen mehr“, sagt der 63-Jährige. Er sei einige Jahre durch Frankreich und Italien „vagabundiert“. Seitdem habe er keine Wohnung mehr. Obwohl er hoffe, bald in einer Seniorenanlage unterzukommen, fühle er sich recht wohl in der B-Ebene, sagt Wolfgang. „Hier ist immer gute Stimmung, wenn nicht gerade Platzkämpfe sind.“ Am meisten störe ihn, dass man so früh aufstehen müsse. Gegen halb sechs würden die Schlafgäste geweckt, bis sechs müssten sie die Station verlassen haben, „da gibt’s kein Pardon“. Dann rückt er seinen Schlafsack zurecht und schließt die Augen. Wenn er es schafft, sofort einzunicken, bleiben ihm noch sechs Stunden Schlaf.

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