Monitor Nr. 638 vom 30.08.2012
Reiche ins Zentrum, Arme an den Rand
Wie der soziale Wohnungsbau zum Auslaufmodell wird
Bericht: Frauke Steffens, Simon Putzstück, Isabel Schayani
Sonia Seymour Mikich: "Ganz herzlich
willkommen bei MONITOR, eine für mich besondere Ausgabe, aber dazu am Ende
mehr. Wohnen, das ist so wichtig wie Essen - ein Grundbedürfnis. Und
erschwingliches Wohnen aus meiner Sicht ein Grundrecht. Doch die Politik hat
das Thema immer mehr vernachlässigt und vieles dem freien Markt überlassen.
Deutschland ist jetzt an der Schwelle zum Wohnungsnotstand, es fehlen allein
vier Millionen Sozialwohnungen. Besonders in den Innenstädten werden bezahlbare
Wohnungen knapp. Und wo neue entstehen, sind das oft Luxusappartements - denn
die lohnen sich. Frauke Steffens, Isabel Schayani und
Simon Pützstück über eine Entwicklung, die politisch gestoppt werden
muss."
Bevor wir anfangen: Warum wohnen eigentlich immer mehr Wohlhabende in der
Stadtmitte und die Ärmeren am Rand? Warum interessieren sich Politiker - ob
Bund oder Land - mehr für Autobahnen als für ganz normale Wohnungen? Und warum
nennen die Meßings aus
Düsseldorf ihre Wohnungssuche einen „Abgrund“? Die Meßings brauchen eine Wohnung, möglichst billig. Denn
ab Januar wird Ernst-Michael Meßing arbeitslos, mit
59. Er war Kraftfahrer bei einer großen Firma, hat 33 Jahre dort gearbeitet.
Dann hieß es, tut uns leid, machen Sie es gut - das
Übliche. In ihrem alten Haus haben sie drei Kinder großgezogen, 9 Enkelkinder
betreut, sie haben den Großvater bis zu seinem Tod gepflegt. Jetzt müssen sie
sich um sich selber kümmern. Das Geld reicht nicht mehr.
Frau Meßing
Frau Meßing: „Heißt
also, wir müssen jetzt ... Wohnung suchen. Obwohl wir es gar nicht wollen. Aber
wir schaffen es geldmäßig nicht.“
Reporterin: „Und die Miete, die Sie zahlen können?“
Herr Meßing: „Eine
Kaltmiete so von 550,- Euro wird dann mein Grenzbereich sein.“
Im Moment kostet sie das Wohnen monatlich warm 1.150,- Euro. Das sind 70 % des
Einkommens, das sie jetzt noch haben. Sie suchen - und das in Düsseldorf.
Düsseldorf - schaut gern nach oben. Es wird gebaut, hochpreisig.
Die Schwarz-Gelb regierte Stadt ist schuldenfrei. Ein
Vorbild für andere Städte? 2010 hat die Stadt es fertiggebracht,
genau 49 neue Sozialwohnungen zu fördern. Dabei gibt es zu wenige. 1990 wurden
in Düsseldorf 20 Prozent aller Wohnungen öffentlich gefördert, heute sind es
noch ganze 6,8 Prozent. Wir treffen den Baudezernenten. Von den Geldern, die
das Land NRW den Städten für den sozialen Wohnungsbau gibt und die andere
Städte dankend annehmen, hat Düsseldorf etliche Millionen ans Land
zurückgegeben!
Reporterin: „Wenn ein Aufstocker
jetzt aufs Wohnungsamt geht, dann wird ihm nahegelegt
- das haben wir von mehreren Leuten gehört - er soll sich doch bitte im Umland
umschauen.
Gregor Bonin, Baudezernent
Gregor Bonin, Baudezernent
Bauen und Planen, Stadt Düsseldorf: „Die regionale Frage ist eine
richtig, fachlich richtige und berechtigte Frage. Weil ich hab gerade darauf
hingewiesen, Düsseldorf hat nur begrenzte Flächen. Und
wir haben auch einen Grundsatz, den ich unter stadtplanerischen Gesichtspunkten
für absolut richtig halte, nämlich Qualität vor Quantität.“
Das hier ist Qualität. Das Quartier am Derendorfer
Güterbahnhof. Fängt bei 10 Euro pro Quadratmeter an und dann geht’s aufwärts.
Bernhard von Grünberg macht seit über 30 Jahren Wohnungsbau-Politik. Ihn ärgert
regelrecht, dass die Stadt keine Sozialwohnungen baut. Düsseldorf hat also
Millionen vom Land abgelehnt? Heißt?
Bernhard von Grünberg, Vorsitzender Mieterbund NRW:
„Die Stadt Düsseldorf ist ein Zeichen dafür, dass eben gar nichts richtig
bearbeitet wird. Hier sind alle Fördermöglichkeiten, die sie haben, nicht in
Anspruch genommen worden. Die Stadt Düsseldorf hat einfach gesagt, brauchen wir
nicht.“
Was, wenn das Modell Düsseldorf Schule macht? Die Meßings suchen weiter.
Reporterin: „Warum ist ne Drei-Zimmer-Wohnung
wieder?“
Frau Meßing: „Eine
Drei-Zimmer-Wohnung möchte ich gern haben, weil ich hab einen Bruder, der ist
geistig behindert, der ist in einem Wohnheim. Und er kommt alle sechs Wochen zu
uns. Ich bin auch seine gesetzliche Betreuung. Und es ist mir sehr wichtig,
dass mein Bruder uns immer besuchen kommt.“
In deutschen Großstädten ist bezahlbarer Wohnraum knapp. Gucken wir allein auf
Sozialwohnungen. Während es 1989 bundesweit noch 4,3 Millionen Sozialwohnungen
gab, sind es mittlerweile nur noch 1,6 Millionen, wie weggeschmolzen.
Dabei werden insgesamt 5,6 Millionen dieser Wohnungen benötigt, laut einer
aktuellen Studie. Der Hauptgrund: Überall im Land fallen Mietpreisbindungen.
Pro Jahr etwa 100.000. In Berlin-Kreuzberg auch. Die Bewohner hier müssen mehr
zahlen oder wegziehen. Sie protestieren jeden Samstag dagegen.
Alexander Kaltenborn: „Hier wohnen viele arme
Leute. Und die sind einfach jetzt in der Existenz substantiell bedroht. Das ist
irgendwie keine Sache, die wir uns ausdenken, sondern es geht den Leuten
wirklich ins Eingemachte. Das macht mich sehr wütend.“
Tahir Sözen: „Ich hab Familie, ich
hab drei Kinder zu versorgen. Und ich arbeite in einem Callcenter.
Drei Viertel meines Gehaltes muss ich für meine Miete zahlen.“
Ulla Chaer: „Ich bin
Rentnerin und zahle von meiner Rente knapp 60 Prozent für die Miete, und finde
das überhaupt nicht mehr sozial.“
Immer weniger Sozialwohnungen, aber steigender Bedarf? Und was macht die
Politik? Das Bundesbauministerium erklärt uns, seit der Föderalismusreform
seien die Länder zuständig, der Bund verteile nur Geld an sie. Während wir
Minister Ramsauer wieder und wieder um ein Interview bitten, äußert er sich
lieber zu zentralen politischen Fragen wie der Anzahl von Buchstaben auf
Autokennzeichen.
Bernhard von Grünberg, Vorsitzender Mieterbund NRW
Bernhard von Grünberg, Vorsitzender Mieterbund NRW:
„Der Bauminister interessiert sich nicht mehr für Bauen, der schiebt eben die
Schuld an die Länder und sagt, die Länder sollen mal was tun. Er könnte natürlich
nach wie vor was tun, weil zum Beispiel in anderen Bereichen des Wohnungsbaus,
für die steuerliche Förderung des Wohnungsbaus, Neubaus oder aber für die
Modernisierung ist der Bund nach wie vor zuständig.“
Also fragen wir alle 16 Länder an, ob sie mit den Geldern aus Berlin
Sozialwohnungen sichern. Das Ergebnis: Während die Bindungen auslaufen, werden
ausgerechnet in Ländern mit Ballungsräumen immer weniger Wohnungen gefördert.
In Bayern ist die Zahl der neu geförderten Sozialwohnungen in den letzten zehn
Jahren um 56 Prozent gesunken. In Baden-Württemberg um 66 und in Hessen um 67
Prozent. Das Problem wird größer. In der Zwischenzeit, gleich um die Ecke von Meßings, wo auch viele ihrer
Verwandten wohnen, entstehen Wohnungen. Das wär‘s!
Sie versuchen auf die Warteliste der Rheinwohnungsbau
zu kommen.
Beraterin der Wohnungsbaugesellschaft: „So, was
kann ich für Sie tun?“
Herr Meßing: „Ja, wir
wollten uns um eine Wohnung bewerben.“
Beraterin der Wohnungsbaugesellschaft: „Ja.“
Herr Meßing: „Ich hoffe,
dass sie meine Schrift lesen können.“
Beraterin der Wohnungsbaugesellschaft: „Fragebogen
haben Sie ausgefüllt ...“
Herr Meßing: „Ich habe es
direkt ausgefüllt, was ich ...“
Beraterin der Wohnungsbaugesellschaft: „Da gibt es
also schon sehr viele Interessenten, muss ich dazu sagen. Also wir sammeln
momentan ...“
Schwierig. Dabei gibt es Modelle und Ideen. Wir fahren nach Hamburg und lernen
zwei Instrumente kennen, mit denen der Senat bezahlbare Wohnungen fördert.
Erstens, werden hier im Karoviertel für 900 Wohnungen
über Jahre die Mietpreise begrenzt. Zweitens, muss künftig jeder Investor, der
in Hamburg baut, 30 Prozent Sozialwohnungen schaffen. Das löst nicht alle
Probleme, aber die Politik greift ein und macht den Investoren Vorschriften.
Andy Grote (SPD)
Andy Grote (SPD), Leiter Bezirksamt Hamburg-Mitte:
„Ich kann auch in größeren Vorhaben mit einem Drittel gefördertem Wohnungsbau
gut auch noch verdienen. Vielleicht nicht so viel, wie bei einem komplett
unregulierten Wohnungsmarkt, das stimmt. Aber damit müssen die Investoren leben
und das tun sie auch.“
Die Stadt Düsseldorf hält wenig von einer festen Quote. Mit Zwang schrecke man
Investoren ab. Geht aber doch! Wir treffen den Investor der Wohnungen, in die Meßings gerne ziehen würden. Er schlägt eine 20-Prozent
Quote vor.
Thomas Hummelsbeck,
Geschäftsführer Rheinwohnungsbau: „Mitunter hilft an bestimmten Stellen
auch ein gewisses Zwangsinstrument, um dann auch wirklich den Markt an der
Stelle wieder gut zu versorgen und auch dafür zu sorgen, dass die Stadt
lebendig bleibt.“
Reporterin: „Das heißt, Sie plädieren als Unternehmer
für ein Zwangsinstrument?“
Thomas Hummelsbeck,
Geschäftsführer Rheinwohnungsbau: „Wir als Unternehmen Rheinwohnungsbau
hätten da kein Problem mit.“
Die Messings stehen vor einem fast alltäglichen
Problem, das Millionen haben.
Sonia Seymour Mikich: "Der Staat muss nicht
für alles eine Lösung haben, aber ein Klima schaffen, in dem erschwingliches
Wohnen wieder selbstverständlich wird."
http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2012/0830/arme.php5