Mieterschützer schlagen Alarm - ganze Wohnviertel vergammeln
21.11.2011 | 19:44 Uhr []der westen
Beschädigte und undichte Fensterrahmen an den Mietwohnungen
der Deutschen Annington an der Norbertstraße in
Essen. Foto: Dirk Bauer / WAZ FotoPool
Essen. Ganze
Wohnviertel an Rhein und Ruhr sollen auf der Kippe stehen. Mieterschützer und
kommunale Gesellschaften der Region schlagen Alarm: Die Immobilienriesen sollen
ihre Bestandspflege vernachlässigen. „Es gibt Siedlungen, in denen es schon
echt schlimm aussieht“, stellt ein Sprecher des Mieterforums Ruhr fest.
Mieterschützer und kommunale Wohnungsgesellschaften der
Region schlagen Alarm: Ganze Wohnviertel stehen ihrer Darstellung nach auf der
Kippe. Grund sei die mangelnde Investitionsbereitschaft privater
Immobilienriesen, die in der Hand von Finanzinvestoren sind. „Es gibt
Siedlungen, in denen es schon echt schlimm aussieht“, warnte Aichard Hoffmann, Sprecher des Mieterforums Ruhr, im NRZ-Gespräch.
„Es wird nicht mehr
ausreichend investiert, um den Bestandsverzehr aufzuhalten“, mahnte Dirk Miklikowski, Vorstandsmitglied von WIR, einem Bündnis
kommunaler Wohnungsfirmen im Ruhrgebiet. Während die WIR-Unternehmen
jedes Jahr 25 Euro und mehr pro Quadratmeter für Instandhaltung und
Modernisierung aufwendeten, erreichten die Investitionsquoten bei Unternehmen
mit Kapitalinvestoren als Eigner oftmals nicht einmal zehn Euro. Die
Entwicklung sei „bedenklich“, sagt Miklikowski, der
auch Vorstand der Essener Wohnungsgesellschaft Allbau
AG ist. „Das strahlt in unsere Lagen aus.“
WIR steht für rund 80 000 Wohnungen zwischen Duisburg im
Westen und Dortmund im Osten. In einigen Wohnvierteln werde es immer
schwieriger, Stabilität zu sichern, klagt Miklikowski.
„Wir können es nicht retten, wenn andere nicht mitmachen.“ Früher habe es eine
gemeinsame Verantwortung in der Wohnungswirtschaft gegeben. „Heute stehen wir
sehr häufig allein auf weiter Flur.“
Deutsche Annington: stehen zu
sozialen Verantwortung
Ein Sprecher des bundesweit größten Wohnungsunternehmens
Deutsche Annington (190 000 Wohnungen) betont
hingegen, man stehe zu seiner sozialen Verantwortung. Annington
steigert seine Investitionen in Modernisierung und Instandhaltung nach eigenen
Angaben 2011 gegenüber dem Vorjahr um elf Prozent. Die Investitionen entsprächen
16 Euro pro Quadratmeter. „Mit unseren Modernisierungen steigern wir nicht nur
den Wert unserer Wohnungen, sondern leisten auch einen Beitrag zur Verbesserung
des Stadtbildes“, hatte Unternehmenschefs Wijnand Donkers unlängst betont.
200 000 Mieter
Der 2007 gegründete Verein „WIR – Wohnen im Revier“ hat neun
Mitglieder: Allbau (Essen); Dogewo21 (Dortmund); Gebag (Duisburg); ggw
(Gelsenkirchen); GWG (Gladbeck); HGW (Herne); SGW (Witten); swb
(Mülheim) und VBW (Bochum). Ihre zusammen rund 80 000 Wohnungen geben mehr als
200 000 Menschen ein Zuhause. Mit Investitionen von jährlich 200 Millionen Euro
sieht sich WIR auch als ein wichtiger Auftraggeber in der Region.
Bei Annington stehen bis zum Jahr
2013 Kredite in Höhe von 4,7 Milliarden Euro zur Refinanzierung an. Die
Gespräche dazu seien auf gutem Weg, so der Sprecher.
Eine Sprecherin der ehemals landeseigenen LEG sagte: „Wir
versuchen, alle unsere Viertel zu stabilisieren.“ Die LEG (90 000 Wohnungen)
hat ihre Investitionen in Modernisierung und Instandhaltung nach eigenen
Angaben 2010 erhöht: Im Durchschnitt seien 13,87 Euro pro Quadratmeter
aufgewendet worden.
LEG wegen einer umstrittenen Mietererhöhungspraxis in der
Kritik
Konzerne und öffentliche Hand hatten riesige
Wohnungsbestände verkauft. Seither besitzen allein die drei Finanzinvestoren
Terra Firma, Fortress und Whitehall über die
Immobilienriesen Deutsche Annington, Gagfah und LEG insgesamt fast 450 000 Mietwohnungen in
Deutschland. Ein Schwerpunkt: die Rhein-Ruhr-Region.
Deren Strategien zum Ausstieg über einen Wiederverkauf
binnen weniger Jahre funktionierten aber inzwischen nicht mehr, sagte
Mietervertreter Hoffmann. Die Lage der Investoren verschärfe sich: Kredite,
über die die Wohnungskäufe bezahlt worden seien, würden in den nächsten Jahren
fällig.
Um die Renditeerwartungen der Eigner zu erfüllen, sei
versucht worden, die Kosten zu drücken und die Mieteinnahmen zu steigern. So
habe die Gagfah zeitweise weniger als acht Euro pro
Quadratmeter pro Jahr in den Bestand investiert. Die LEG stand Anfang des
Jahres wegen einer umstrittenen Mietererhöhungspraxis in der Kritik.
Christian Icking