Kein Fahrschein
Richtung Erfolg
25.01.2012 | 18:48 Uhr
Foto: Michael Korte
Essen.Eine magere Bilanz: Wie in
vielen Kommunen auf VRR-Gebiet wird das Sozialticket
in Essen bislang kaum nachgefragt.
Mehr Mobilität für Geringverdiener und sozial schwache Menschen – dieses
Ziel hatte die
Politik mit der Einführung des Sozialtickets im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr
(VRR) ursprünglich anvisiert. Doch wie in vielen Kommunen auf VRR-Gebiet greift die gute Absicht in Essen bislang nicht.
Seit drei Monaten ist das Ticket auf dem Markt, doch noch im Dezember lag
die Nutzerquote unter den Anspruchsberechtigten bei mageren 5,4 Prozent. Die
Zielmarke der Initiatoren lag bei 14 Prozent. Von 115.000 Anspruchsberechtigten
in Essen nahmen gerade mal 6000 Kunden im vergangenen Monat das Angebot wahr.
Immerhin ist die Nachfrage leicht gestiegen - im November kauften circa 4600 Evag-Kunden ein Sozialticket.
Dass sich das Sozialticket als Ladenhüter entpuppt, führen Kritiker vor
allem auf den Preis zurück - der sei für sozial Bedürftige mit 29 Euro im Monat
immer noch zu hoch. Zum Vergleich: Eine normale Monatskarte der Preisstufe A
kostet 63,05 Euro. Nils Hoffmann, Sprecher der Essener Verkehrs-AG (EVAG), zweifelt trotz des schleppenden
Verkaufs nicht grundsätzlich an dem Konzept.
„Die Testphase dauert über ein Jahr. Erfahrungsgemäß braucht es seine Zeit,
bis sich ein neues Angebot etabliert hat.“ Jetzt schon über Erfolg oder
Scheitern des Sozialtickets urteilen zu wollen, sei „grob unseriös“. Ferner
gestalte sich die Kundenstruktur in den einzelnen Kommunen im VRR-Gebiet sehr unterschiedlich. Welche Bedürfnisse die
Fahrgäste in Essen besitzen, soll eine abschließende Auswertung über den Erfolg
des Sozialtickets am Ende des Jahres zeigen.
„Eine Monatskarte ist kein Lifestyle-Produkt wie ein Fernseher. Eine solche
Kaufentscheidung treffen Kunden nach rationalen Kriterien und oft in Absprache
mit der Familie – das braucht Zeit“, so Hoffmann. Den finanziellen Verlust der Evag durch das Sozialticket beziffert er auf 108.000 Euro
im Monat.
Einen Anspruch auf das Sozialticket hat generell, wer staatliche Zuschüsse
zum Lebensunterhalt erhält. Wer es kaufen möchte, muss einen Antrag beim
zuständigen Sozialamt oder Jobcenter stellen. Mit dem entsprechenden Formular
erhält der Kunde sein Ticket am Schalter – der Kauf am Automaten ist wegen des
Nachweises der Anspruchsberechtigung derzeit noch nicht möglich.
Silva Buttke, Fraktionssprecherin der Grünen in
der Essener Bezirksvertretung III, arbeitet in einem Callcenter
und ist selbst Geringverdienerin. Sie führt einen anderen Grund an, warum das
Sozialticket wenig nachgefragt wird: „Bei vielen Betroffenen ist das mit Scham
verbunden. Auch ich habe mich zu Zeiten meiner Arbeitslosigkeit geniert,
Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.“
Die Preispolitik im Verkehrsverbund bestimmt der VRR Zweckverband, der die Preise in Abhängigkeit von Zuschüssen des Landes festlegt. Das Sozialticket wird 2012 und 2013 jeweils mit 30 Millionen Euro vom Land unterstützt. „Wenn die Nutzerquote von 14 Prozent tatsächlich erreicht würde, würde dieser Zuschuss nicht ausreichen. Dann müssten wir neu kalkulieren“, sagt Wolfgang Weber, Zweckverbandsmitglied und Aufsichtsratsvorsitzender des VRR. „Zurzeit sieht es aber nicht danach aus."
http://www.derwesten.de/staedte/essen/kein-fahrschein-richtung-erfolg-id6283779.html