Hunderten Hartz-IV-Empfängern
droht im Sauerland Zwangsumzug 25.01.2014 | 00:15 Uhr
Armut
Hagen. Viele Empfänger von Grundsicherung bangen im Hochsauerlandkreis um ihre
Wohnungen. In den vergangenen Monaten haben die Jobcenter hunderte von ihnen
schriftlich aufgefordert, die Kosten für ihre Unterkünfte zu senken. Dem
Märkischen Kreis steht dies noch bevor.
Mehreren hundert Empfängern von Grundsicherung im Hochsauerlandkreis droht der
Auszug aus ihren Wohnungen. Dies geht aus Schreiben hervor, die in den
vergangenen Monaten vermehrt von den Jobcentern im HSK versandt worden sind. In
den Anschreiben weisen die Jobcenter die jeweiligen Empfänger darauf hin, dass
die Kosten für ihre Unterkünfte zu hoch und daher unangemessen seien. Sie
werden aufgefordert, entweder in günstigere Wohnungen umzuziehen oder aber
einen Teil ihrer Mietkosten selbst zu tragen.
In einem solchen Schreiben des Jobcenters Arnsberg, das der Funke-Mediengruppe
vorliegt, heißt es, es sei dem Steuerzahler nicht zuzumuten, „für einen Hilfeempfänger
dauerhaft unangemessene Unterkunftskosten zu finanzieren“. Ähnliche Schreiben
befinden sich nach Recherchen unserer Redaktion im gesamten Hochsauerlandkreis
im Umlauf. Ursache dafür ist ein neues Konzept, das im HSK seit dem 1. August
2013 gilt. Demnach sind die Obergrenzen für die Unterkunftskosten, welche die
Jobcenter den Empfängern von Grundsicherung gewähren, deutlich gesunken.
Gericht kippt Berechnungsmethoden
Der Hintergrund für diese Entwicklung reicht bis ins Jahr 2012 zurück. Bis dahin
ermittelten die Jobcenter im HSK selbstständig die Obergrenzen der
Unterkunftskosten für ihr jeweiliges Zuständigkeitsgebiet. Jedes Jobcenter
versuchte die tatsächlichen Mietniveaus seiner Stadt abzubilden. Folglich
galten kreisweit sehr unterschiedliche Höchstwerte. In Arnsberg zum Beispiel
waren andere Höchstsätze gültig als in Meschede, Brilon oder Sundern.
Das Bundessozialgericht entschied im Mai 2012 jedoch, dass die von den
Jobcentern angewendeten Berechnungsmethoden nicht schlüssig und deshalb unwirksam
seien. Jede Kommune ohne „schlüssiges Konzept“ sollte sich fortan an den
Höchstgrenzen orientieren, die im Wohngeldgesetz geregelt sind. Das bedeutete
für den Kreis als finanziellen Träger der Unterkunftskosten potenziell
zusätzliche Belastungen. Die Werte laut Wohngeldtabelle sind nämlich höher als
die Sätze, welche die Jobcenter im HSK für sich errechnet hatten.
Der Hochsauerlandkreis entschied daraufhin, ein „schlüssiges Konzept“ zu
erstellen und betraute das Hamburger Unternehmen „Analyse&Konzepte“
damit. Dieses ermittelte mit wissenschaftlichen Methoden neue
Mietpreisobergrenzen für die einzelnen Kommunen des HSK, an denen sich die
Jobcenter seit August 2013 zu orientieren haben. Diese sind deutlich niedriger
als die zuvor geltenden Höchstgrenzen laut Wohngeldtabelle – und: Sie sind
sogar niedriger als die Werte, welche die Jobcenter zuvor ermittelt hatten. In
Arnsberg darf für eine Einzelperson jetzt maximal nur noch 299,50 Euro
anerkannt werden.
Rücksicht auf Senioren und Kranke
Dies sind immerhin 39 Euro bzw. 10,50 Euro weniger als zuvor. Da die Empfänger
von Grundsicherung obendrein alle sechs Monate beim Jobcenter einen Antrag auf
Weitergewährung ihrer Mietkosten stellen müssen, kam es in den vergangenen
Wochen und Monaten zum vermehrten Versand der oben genannten Aufforderungen zur
Kostensenkung.
Welche Auswirkungen dies auf die Wohnungsmärkte der betroffenen Städte haben
wird, ist momentan noch nicht abzusehen. Einige Grundsicherungsempfänger nutzen
offenbar die Möglichkeit des Einspruchs gegen die Aufforderungen. Sie müssen
jedoch glaubhaft begründen können, warum ihnen ein Umzug oder die Übernahme
eines Eigenanteils nicht zumutbar ist. Andrea Welschoff,
die Leiterin des Jobcenters Arnsberg, sagte auf Anfrage, jeder Fall werde individuell
geprüft.
Besonders umsichtig werde bei älteren Menschen und Personen mit
gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorgegangen. Hier gebe es
Ermessensspielräume. „Außerdem haben die Personen ein Jahr lang Zeit, sich auf
dem Wohnungsmarkt nach einer geeigneten Unterkunft umzuschauen“, sagte Welschoff.
Eine ähnliche Situation wie im HSK entsteht momentan im Märkischen Kreis (MK). Auch hier gilt seit dem 1. Januar 2014 ein sogenanntes „schlüssiges Konzept“. Potenziell betroffen sind kreisweit insgesamt 22.029 Haushalte. Fakt ist, dass die Mietobergrenzen im Vergleich zu den vorher geltenden Werten ebenfalls zum Teil deutlich gesunken sind. „Eine Übertragung auf Bestandsfälle ist sukzessive ab dem 1. Juli 2014 vorgesehen“, heißt es im Sitzungsprotokoll des Sozialausschusses vom 10. Dezember des vergangenen Jahres.
Der Ennepe-Ruhr-Kreis arbeitet bereits seit Oktober 2012 mit einem „schlüssigen Konzept“. Dort gibt es kreisweit rund 14.200 Haushalte mit Empfängern von Hartz-IV-Leistungen sowie circa 3700 weiteren Personen, die Grundsicherung erhalten. Es liegen nach Auskunft des Kreises keine Zahlen vor, wie viele Kostensenkungsaufforderungen versandt wurden, seitdem das „schlüssige Konzept“ Anwendung findet.
„Bisher wurde durch den Kreis Siegen-Wittgenstein noch kein schlüssiges Konzept bezüglich der Miethöhe entwickelt. Dies ist jedoch in Planung“, heißt es in einer Stellungnahme des Jobcenters im Kreis Siegen-Wittgenstein. Im gesamten Kreisgebiet gibt es 7804 Haushalte, die Hartz-IV beziehen. Allein auf die Stadt Siegen entfallen 4343 Bedarfsgemeinschaften sowie weitere 1432 Empfänger von Grundsicherung. Die aktuellen Mietobergrenzen sind zwar für die einzelnen Städte unterschiedlich, jedoch weitgehend an die Werte der Wohngeldtabelle angelehnt. Daher gab es auch bis dato keinen Versand von Kostensenkungsaufforderungen.
Für den Kreis Olpe existiert ebenfalls kein „schlüssiges Konzept“. Die angemessene Grundmiete pro Quadratmeter wird auf Grundlage der „Vergleichsmietentabelle“ für den Kreis Olpe ermittelt. Mietsenkungsaufforderungen wurden auch hier nicht verschickt, teilte ein Mitarbeiter des Kreises mit.
„In Hagen wird für die Festlegung der Obergrenzen der aktuelle Mietspiegel vom November 2013 festgelegt“, antwortete ein Sprecher der Stadt Hagen auf eine Anfrage unserer Redaktion. In Hagen habe kein Versand von Aufforderungen zur Reduzierung von Unterkunftskosten stattgefunden. Dazu gab es bisher jedoch auch keinen Anlass. Im Gegenteil: Im November vergangenen Jahres wurde der Betrag für die Kaltmiete pro Quadratmeter sogar um 10 Cent angehoben. In Hagen gibt es rund 12.000 Haushalte, die Grundsicherung erhalten.
Hunderten Hartz-IV-Empfängern droht im Sauerland
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