Arbeitslose werden nicht observiert Heftige Kritik zwingt Behörden zu Rückzieher

        Hartz-IV-Empfänger sollen bei Verdacht des Leistungsmissbrauchs

        künftig nicht mehr von Detektiven observiert werden. Ein

        entsprechender Passus in einer Dienstanweisung werde gestrichen,

        heißt es in einer Mitteilung von Bundesarbeitsministerium und

        Bundesagentur für Arbeit (BA) vom Donnerstag. Man sei sich

        einig, "dass Observationen im Auftrag der BA nicht stattfinden".

        Schon bisher seien solche Überwachungen nicht gängige Praxis

        gewesen und nur in wenigen Ausnahmen bei schwerem

        Missbrauchsverdacht eingesetzt worden.

        Das Bonner Erwerbslosenforum Deutschland hatte der Bundesagentur

        vorgehalten, bei der Kontrolle Verdächtiger verstärkt zu

        "nachrichtendienstlichen Methoden" zu greifen. Damit maße sich

        die BA Kompetenzen an, die selbst Strafermittlungsbehörden nicht

        besäßen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte reagierte alarmiert,

        obwohl die BA behauptet hatte, er sei unterrichtet.

        Eine BA-Sprecherin räumte am Donnerstag ein, dass die Jobcenter

        in besonders schwerwiegenden Fällen auch Detektive einsetzten.

        Vereinzelt würden auch Erkundigungen über Verdächtige bei

        Banken, Bildungsträgern und Nachbarn eingeholt. Die Kontrollen

        seien seit Jahren üblich. Die kritisierte Observations-Anweisung

        war zwischen BA und Arbeitsministerium abgestimmt. Nach dem

        Rückzug heißt es nun, die BA habe "das Ziel, im persönlichen

        Gespräch Verdachtsmomente abschließend zu recherchieren".

        Ausgelöst wurde die Debatte, weil die Bundesagentur am 20. Mai

        eine Handlungsempfehlung für Hartz-IV-Kontrollen für verbindlich

        erklärte. Damit lag es nach den Worten der BA-Sprecherin nicht

        mehr im Ermessen eines Jobcenters, wie es bei einem Verdacht auf

        Leistungsmissbrauch vorzugehen hat. Die Umwandlung der

        Empfehlung sei nötig geworden, weil der Bundesrechnungshof den

        Katalog als zu unverbindlich gerügt habe. dpa/rb

          RKAPPUS

© Copyright Frankfurter Rundschau

Ausgabe: Stadtausgabe (Nr. 128)

Datum: Freitag, den 05. Juni 2009

Seite: 1

 

 

  Arbeitsminister stoppt Hartz-IV-Beobachtung bei Betrugsverdacht

        Nürnberg/Berlin (ap) Bundesarbeitsminister Scholz (SPD) hat die

        verdeckte Beobachtung mutmaßlicher Hartz-IV-Betrüger gestoppt.

        Zuvor hatte die "Bild" berichtet, Außendienst-Ermittler würden

        Hausbesuche machen und bei schweren Verdachtsfällen auch

        Nachbarn, Bekannte und auch Kinder befragen. Die Behörden

        könnten auch private Ermittler beauftragen. Gestern erklärten

        Ministerium und Bundesagentur für Arbeit (BA), sie seien "sich

        einig, dass Observationen im Auftrag der BA nicht stattfinden."

        Der Passus aus der Dienstanweisung werde gestrichen. Der

        Präsident des Landessozialgerichts, Brand, sagte unserer

        Zeitung, wer in NRW gegen Hartz-IV-Entscheidungen klage, habe

        gute Chancen, Recht zu bekommen.

        POLITIK SEITE A 4

Quelle:

Verlag: Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH

Publikation: Rheinische Post Düsseldorf

Ausgabe: Nr.128

Datum: Freitag, den 05. Juni 2009

Seite: Nr.1

 

 

06.06.2009 / Inland / Seite 5Inhalt

<http://www.jungewelt.de/2009/06-06/index.php>

  Wahlgeschenk für Arme

 

 

    Trotz Observierungsverbots darf weiter gegen Hartz-IV-Empfänger

    geschnüffelt werden. Arbeitsminister fürchtet schlechte Presse

 

Von Ralf Wurzbacher

 

Das am Donnerstag vom Bundesarbeitsministerium (BMAS) erlassene

Schnüffelverbot im »Kampf gegen Leistungsmißbrauch« von

Hartz-IV-Empfängern ist ziemlich löchrig. Wie junge Welt am Freitag auf

Nachfrage beim Ministeriumund bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) in

Erfahrung brachte, soll lediglich der Passus zu »Observationen« aus der

seit 20. Mai geltenden internen Dienstanweisung der Nürnberger Behörde

an die Jobcenter gestrichen werden. Damit bleiben die von Datenschützern

in Teilen ebenfalls beanstandeten Vorgaben zum Arbeitsprofil von

Außendienstmitarbeitern unverändert bestehen. Entsprechend meldeten

Datenschützer gestern weiteren »Gesprächsbedarf« an.

 

Bei der BA tut man derweil so, als wäre nichts passiert. »Wir sehen das

ganz leidenschaftslos, daß der Passus weg ist, weil Observierungen

ohnehin keine Rolle gespielt haben«, äußerte sich am Freitag

Behördensprecherin Anja Huth. Tags zuvor hatte sie das Ausspähen noch

als rechtlich unbedenkliche und bewährte Methode verteidigt. Spioniert

wurde demnach schon länger -- ohne jede Gesetzesgrundlage. Die neueste

BA-Sprachregelung lautet nun: alles halb so wild. Eigentlich sei die

Intervention durch Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) »ohne Bedeutung,

weil wir offene Fragen fast zu 100 Prozent im Rahmen unserer

persönlichen Kontrollen klären können«, so Huth.

 

Martin Behrsing vom Erwerblosen Forum Deutschland (Elo-Forum) weiß

dagegen von mehreren Fällen, in denen Akten über Hartz-IV-Bezieher

angelegt wurden, die Observationen und Nachforschungen durch

Außendienstmitarbeiter der Jobcenter dokumentieren. Beanstandet hat der

Arbeitsminister aber allein das heimliche Ausspähen in

James-Bond-Manier, der große Rest der in der BA-Weisung skizzierten

Methoden zum Auskundschaften hat nach wie vor Scholz' Segen. Mit dem

getilgten Passus zu Observierungen »wurde der Angelegenheit nur die

Spitze genommen«, bemerkte dazu der Datenschutzbeauftragte von

Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, am Freitag im jW-Gespräch. Er ist

sich sicher, »daß die Sache noch längst nicht gegessen ist«. Es bleibe

bei seiner Kritik, »insbesondere was die Frage der Datenbeschaffung bei

Kindern, Nachbarn, Vermietern, Banken und Versicherungen angeht«. Ein

»Hammer« sei außerdem die Beauftragung von privaten Detekteien für

Außendiensttätigkeiten.

 

Tatsächlich laufen in der sechsseitigen Dienstanweisung sämtliche der

rechtlich zweifelhaften Regelungen zu Hausbesuchen, zur Befragung

Dritter und zur Beauftragung eines Außendienstes und »nicht-öffentlicher

Stellen« nicht unter dem Passus »Observationen«. Möglich bleibt demnach

auch die Erhebung von »Sozialdaten ohne Mitwirkung des Betroffenen«.

 

Dietmar Müller, Sprecher des Bundesbeauftragten für den Datenschutz

(BfDI) Peter Schaar, kündigte am Freitag gegenüber jW weitere Gespräche

mit der Bundesagentur, dem Arbeitsministerium und den Datenschützern der

Länder an. In einer offiziellen Pressemitteilung, nannte es Schaar

»erforderlich«, die Regelungen zur Außendiensttätigkeit »nachzubessern«.

Darin wird auch gerügt, daß das BfDI im Vorfeld nicht über die

Neuregelung informiert worden sei -- genau das hatte die BA aber behauptet.

 

 

 Hartz-IV-Empfänger sollen angeblich „observiert“ werden

Nachrichten, 04.06.2009, DerWesten

Berlin. Die Bundesagentur für Arbeit verschärft einem Medienbericht zufolge die Kontrolle von Hartz-IV-Empfängern erheblich. Außendienstmitarbeiter der Behörde sollen bei Betrugsverdacht Nachbarn befragen und sogar in den Schränken von Hartz-IV-Empfängern schnüffeln dürfen.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) verschärft einem Medienbericht zufolge die Kontrolle von Hartz-IV-Empfängern erheblich. Wie die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf eine interne Weisung der BA berichtet, sollen Hartz-IV-Empfänger künftig bei Betrugsverdacht sogar von den Sozialbehörden «observiert» werden können. Dem Bericht zufolge werden in der Weisung der BA an alle Argen und Jobcenter vom 20. Mai ausdrücklich «Observationen» als Maßnahmen bei «Verdacht auf einen besonders schwerwiegenden Leistungsmissbrauch» genannt. Dazu sollten die Behörden Außendienste einrichten oder private Firmen mit der Kontrolle beauftragen.

Die Hartz-IV-Kontrolleure sollten demnach dann verstärkt zu Hausbesuchen bei Arbeitslosen ausschwärmen und mit Zustimmung des Hartz-IV-Empfängers auch Schränke kontrollieren, «wenn eine Sachverhaltsaufklärung sonst nicht möglich ist». Die Ergebnisse der Wohnungskontrollen sollten detailliert protokolliert und «Auffälligkeiten» für jeden Raum gesondert beschrieben werden, heißt es in dem Bericht weiter. Den Außendienstmitarbeitern solle es auch erlaubt sein, Nachbarn oder Bekannte über die Hartz-IV-Bezieher zu befragen. Selbst Kinder sollten befragt werden, wenn ihre Erziehungsberechtigten zustimmen. (afp)

 

 

04.06.2009 / Inland / Seite 4Inhalt jw

Orwell läßt grüßen

Bundesagentur für Arbeit geht neuerdings mit Observationen gegen möglichen Leistungsmißbrauch vor. Datenschützer sind alarmiert

Von Ralf Wurzbacher

 

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) nimmt sich jetzt offiziell das Recht heraus, ihre Mitarbeiter zum Schnüffeln auf Hartz-IV-Empfänger loszulassen. »Beim Verdacht auf einen besonders schwerwiegenden Leistungsmißbrauch« soll es neuerdings möglich sein, gegen Betroffene nachrichtendienstliche Ermittlungen bis hin zu »Observationen« einzuleiten. So steht es in einer internen Dienstanweisung der Nürnberger Zentralbehörde an alle Jobcenter. Nach Auskunft des Erwerblosen Forums Deutschland (Elo-Forum) kommen die Regelungen seit dem 20. Mai, dem Tag der Herausgabe des Papiers, auch zur Anwendung. Das Elo-Forum und dessen Partnerorganisation gegen-hartz.de wollen juristische Schritte gegen die Maßnahmen prüfen.

Die Bundesagentur maße sich Kompetenzen an, »für die Strafermittlungsbehörden einen Gerichtsbeschluß benötigen«, schreiben die Erwerbsloseninitiativen in einer gemeinsamen Stellungnahme vom Mittwoch. »Wir fordern die Bundesregierung auf, die BA sofort in ihre Schranken zu verweisen und den behördlichen Wahnsinn umgehend zu stoppen Martin Behrsing vom Elo-Forum sagte gestern gegenüber junge Welt, daß diese Methoden nicht mit der Strafprozeßordnung und der Verfassung in Einklang stünden. Behrsing stellt sich vor allem die Frage, »wo die Grenzen zu einem schwerwiegenden Verdacht verlaufen und wer darüber befindet«. Er befürchtet, daß schon eine »bloße anonyme Anzeige eines gehässigen Nachbarn« ausreicht, die Ermittler auf den Plan zu rufen.

Laut Dienstanweisung ist das heimliche Ausspähen dann gestattet, »wenn eine andere Aufklärung nicht möglich ist«. Aufgrund des »besonders schwerwiegenden Eingriffs in die Rechte der Betroffenen« wären Observationen jedoch »nur durch die Leitung der Grundsicherungsstelle anzuordnen«. Zudem sei »in besonderem Maße« der »Grundsatz der Verhältnismäßigkeit« zu berücksichtigen. Nach Einschätzung des Datenschutzbeauftragten von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, lädt die Regelung »geradezu zur übermäßigen Bespitzelung ein«, da weder der Begriff der Observation noch der des schwerwiegenden Verdachts konkretisiert werde. Im jW-Gespräch wies er darauf hin, daß das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg für Observationen eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage verlangt habe, die allerdings nicht bestehe.

Die BA-Anweisung enthält dazu eine Reihe weiterer fraglicher Vorgaben, die für Sebastian Bertram von gegen-hartz.de wie eine »Anleitung für nachrichtendienstliche Ermittler« anmuten. So schlüsselt das Schreiben als »denkbare« Außendiensttätigkeiten unter anderem die »Überprüfung von Wohnungsverhältnissen«, die »Feststellung von verschwiegenem Einkommen, dabei auch Gespräche mit Arbeitgebern«, »Vorsprachen bei Banken und Versicherungen« sowie »Gespräche mit sonstigen Dritten, z.B. Nachbarn, Vermieter« auf. Natürlich werden den Ausspionierten nur die besten Absichten unterstellt, etwa dann, wenn der Verdacht einer nicht angezeigten Bedarfsgemeinschaft besteht. In diesem Fall lautet der Fahndungsauftrag: »Indizienfeststellung zur Widerlegung der Vermutung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft« – Orwell hätte daran seine helle Freude gehabt.

Datenschützer Weichert hält die »Einschaltung von privaten Sozialdetektiven« für schlicht rechtswidrig. Deren Einsatz lasse sich jedenfalls nicht mit der in der Anweisung zitierten Gesetzespassage begründen. Generell sehe die Anweisung vor, daß sehr leicht und schnell auf die Erhebung von Daten bei Dritten zurückgegriffen werden könne. »Das geht an der Rechtslage völlig vorbei«. Hinter dem Rücken des Betroffenen dürfe »grundsätzlich nicht ermittelt werden«. Weichert nannte die Anweisung »massiv überarbeitungsbedürftig« und kündigte an, sich hierüber mit seinen Datenschutzkollegen im Bund und in den Ländern zu verständigen.