Gratis-Busse und -Bahnen
Tallinn setzt auf freie Fahrt im Nahverkehr
19.01.2013 · Nahverkehr zum Nulltarif: Als
erste europäische Hauptstadt bietet das estnische Tallinn die Fahrten mit Bus
und Bahn seit Jahresbeginn gratis an. Trotz Anlaufschwierigkeiten und Kritik an
den Kosten scheint die Umstellung den gewünschten Effekt zu erzielen.
Freie Fahrt in Tallinn: Im Kampf gegen tägliche Staus und für
die Umwelt hat Estlands Hauptstadt mit Jahresbeginn Gratis-Nahverkehr
in der ganzen Stadt eingeführt. Seither können die 420.000 Einwohner der
Großstadt an der Ostsee die Busse und Bahnen umsonst nutzen. Probleme bereitet
noch das neue elektronische Ticketsystem, außerdem gibt es Kritik an den
Kosten. „Tallinn ist eine innovative Stadt. Wir sind die erste Hauptstadt, in
der ein derartiges Konzept in einem solchen Umfang umgesetzt wird“, sagt Edgar
Savisaar.
Der Bürgermeister hat sich gegen einige Widerstände durchgesetzt. Dabei
stützte er sich auf eine Bürgerbefragung im Frühjahr 2012. Mehr als 75 Prozent
der Tallinner unterstützen die Initiative. Manche konnten es kaum abwarten:
„Ich habe meine erste Freifahrt gleich am 1. Januar um 6 Uhr morgens gemacht.
Ich denke, ich werde es irgendwann mal wieder tun“, beschrieb der estnische
Sänger Koit Toome im
Frauenmagazin „Naisteleht“ seine ersten Erfahrungen
mit dem Gratis-Nahverkehr.
„Im letzen Jahr nutzten täglich rund 100.000 Menschen den Nahverkehr. Wir
hoffen, dass diese Zahl zunimmt und immer mehr Bürger ihr Auto stehen lassen
und auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen“, sagt Savisaar. Mit den
Freifahrten soll zudem die Mobilität ärmerer Familien erhöht werden. Die Stadt
hilft dabei mit umstrittenen Mitteln nach: buchstäblich über Nacht wurden auf
mehreren Straßen in der Innenstadt Fahrstreifen in Busspuren umgewandelt und
die Ampelschaltung zugunsten von Bus und Bahn geändert. Gerade im
Berufsverkehr, in dem die Straßen schon zuvor stark verstopft waren, bringt die
geänderte Verkehrsführung viele Autofahrer auf die Palme.
Doch ersten Untersuchungen zufolge scheint das Konzept aufzugehen. Im Januar waren bisher 15 Prozent weniger Autos unterwegs …
Kritiker warnen vor den Kosten der Umstellung - jährlich fehlen rund zwölf Millionen Euro im städtischen Haushalt, die bisher aus dem Fahrkartenverkauf stammten. …
Die Stadtverwaltung setzt dagegen auf zusätzliche Steuereinnahmen durch
zugezogene Tallinner, die sich bisher nicht offiziell als Einwohner angemeldet
haben. Dadurch könne der Nulltarif mindestens teilfinanziert werden, heißt es
aus dem Rathaus. Auch in den Nachbarländern ist man neugierig, wie sich der
Gratis-Nahverkehr in Tallinn bewährt: Helsinki, Riga und Vilnius haben bereits
angekündigt, dem Beispiel eventuell folgen zu wollen, …