Einmal Hartz, immer Hartz

Harz-IV-Empfänger brauchen meist dauerhaft staatliche Hilfe. Vor allem Alleinerziehende schaffen selten den Absprung. Die Reform ist gescheitert, meinen Kritiker. Die SPD verwahrt sich aber gegen den Ruf „Hartz IV muss weg“.

Von Eva Roth und Wolfgang Wagner

Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband ist der Beweis erbracht, dass Hartz IV misslungen ist: Einer Studie zufolge schaffen es Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfänger partout nicht, ohne staatliche Hilfe auszukommen. Bei der Einführung von Hartz IV im Januar 2005 haben gut sechs Millionen Personen die neue Leistung erhalten. Mehr als die Hälfte davon war nach drei Jahren immer noch auf die Grundsicherung angewiesen. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) herausgefunden. Fast 80 Prozent der Hartz-IV-Empfänger vom Dezember 2008 erhielten die Unterstützung ununterbrochen seit mindestens einem Jahr.

Für Alleinerziehende ist es besonders schwierig, von staatlicher Hilfe unabhängig zu werden. Das galt auch für das Boomjahr 2007: 63 Prozent der Alleinerziehenden, die Anfang 2007 neu Hartz IV bekamen, waren nach einem Jahr immer noch auf die Hilfe angewiesen. Paare mit Kindern schaffen viel öfter den Ausstieg.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband fühlt sich nun in seiner Kritik an der rot-grünen Sozialreform bestätigt: „Es ist geradezu eine arbeitsmarktpolitische Bankrotterklärung, wenn Hartz IV für mehr als die Hälfte der Bezieher perspektivlos auf dem Abstellgleis endet“, erklärte sein Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Simone Leiber, Sozialexpertin beim gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI), formuliert vorsichtiger: Die Studie zeige, dass die Aktivierungspolitik, die stark auf Fordern setze, an ihre Grenzen stoße. Problemgruppen müssten besser betreut werden.

SPD-Vize Andrea Nahles wandte sich gegen „pauschalisierende Anti-Hartz-IV-Debatten“ und forderte eine differenzierte Betrachtung. Die Studie zeige, bei welchen Gruppen sich die Problematik verfestige, dies seien vor allem die Alleinerziehenden, sagte Nahles der FR. Sie seien zeitlich oft nicht flexibel. „Um ihnen zu helfen, brauchen sie einen Rechtsanspruch auf eine ganztägige Kinderbetreuung mindestens bis zum zehnten Lebensjahr.“

Weniger als ein Drittel der Hartz-IV-Empfänger ist als arbeitslos registriert. Die anderen Hilfebedürftigen sind Kinder, Geringverdiener, Weiterbildungs-Teilnehmer – und Alleinerziehende, die wegen ihrer Kinder keinen Job annehmen können. Insgesamt haben bislang zwölf Millionen Menschen schon mal Hartz IV bekommen. Seite 11

 

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© Copyright Frankfurter Rundschau
Ausgabe: Stadtausgabe (Nr. 58)
Datum: Dienstag, den 10. März 2009
Seite: 1

 

Kommentare

Armutszeugnis für Hartz IV

Von Eva Roth

Es ist keine Schande, Hartz IV zu beziehen. Ein Armutszeugnis für eine moderne Gesellschaft ist es aber, dass es für Alleinerziehende oft unmöglich ist, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Sie sind besonders oft besonders lange abhängig von der staatlichen Grundsicherung namens Hartz IV. Diese Menschen haben sich entschieden, ihr Kind allein großzuziehen. Die Konsequenz lautet oft: Raus aus dem Vollzeit-Job, rein in die Teilzeit, ob die Mütter (und die wenigen alleinerziehenden Väter) das nun wollen oder nicht. Der einzige Weg, dies zu ändern, ist bekannt: Deutschland braucht mehr und bessere Kinderbetreuungseinrichtungen.

Ein Armutszeugnis für eine immer noch wohlhabende Gesellschaft ist auch, dass viele Menschen trotz Vollzeitstelle so wenig verdienen, dass sie nicht mal sich selbst mit dem Gehalt ernähren können. Gegen Hungerlöhne von vier, fünf Euro in der Stunde hilft ein gesetzlicher Mindestlohn. Denn die Gewerkschaften haben es nicht geschafft, solche Löhne zu verhindern.

Doch Obacht: Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass irgendwann niemand mehr auf staatliche Grundsicherung angewiesen ist. Es wird immer Menschen geben, die für eine Weile oder auf Dauer nicht allein für ihren Lebensunterhalt sorgen können, etwa weil sie ein Suchtproblem haben, oder weil sie nach jahrelanger körperlicher Arbeit einfach nicht mehr können.

Es ist Aufgabe des Sozialstaats, diesen Leuten zu helfen. Mit Beratung, Hilfsangeboten – aber eben auch mit Geld. Diesen Menschen Hartz IV zu gewähren, ist keine Schande für eine Gesellschaft. Im Gegenteil.

 

GHARTZ



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Ausgabe: Stadtausgabe (Nr. 58)
Datum: Dienstag, den 10. März 2009
Seite: 11

 

 

 

 Hartz IV auf Dauer für drei Millionen

10.03.2009 / Inland / Seite 4, jungewelt

Nürnberg. Lange Bezugsdauer und wiederkehrende Bedürftigkeit sind

typisch für das Schicksal von Hartz-IV-Beziehern. Mehr als drei

Millionen Menschen waren seit der Einführung im Januar 2005 bis zum

Dezember 2007 durchgängig auf diese staatliche Unterstützung angewiesen,

wie eine am Montag veröffentlichte Studie des Nürnberger Instituts für

Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ergab. 78 Prozent derjenigen,

die im Dezember 2007 bedürftig waren, erhielten diese Grundsicherung

schon mindestens zwölf Monate ohne Unterbrechung. Etwa 40 Prozent der

Leistungsempfänger waren spätestens ein Jahr nach ihrem Hartz-IV-Bezug

erneut auf finanzielle Unterstützung angewiesen.(AP/jW)