"Düsseldorfer Leitbild sollte Toleranz sein"
"Wem gehört die Stadt?" Darüber diskutierten
Wohnungslose, Wissenschaftler,
Streetworker und Geschäftsleute. Ende offen.
Düsseldorf. Wahrscheinlich lag`s
am wunderschönen Wetter, dass ein Hauch
von Volksfest-Atmosphäre über der Veranstaltung lag. Wohl
auch an den
Grillwürstchen und Bierständen. "Wem gehört die
Straße?" war das "1.
Düsseldorfer Berber-Symposium" überschrieben, und eine
klare Antwort darauf
war nicht zu erwarten. Im Mittelpunkt des Treffens, das zur
Verwunderung
der Anlieger auf der Girardet-Brücke und einem kleinen Teil
der Kö
stattfand sie waren nicht informiert worden -, stand die
Straßensatzung.
Für und Wider diskutierten in verschiedenen Runden
Wissenschaftler,
Politiker, Geschäftsleute, Sozialarbeiter und die Berber
selbst, wie
Obdachlose manchmal auch genannt werden. Für Klaus Riekenbrauk von der FH
Düsseldorf, einen der Initiatoren, ist die Straßensatzung
schlicht überflüssig.
"Störungen gibt es auch vor dem Uerige,
ohne dass der OSD eingreift." Aber
zehn Meter weiter würde der Ordnungsund
Servicedienst gegen Obdachlose
einschreiten, die Alkohol tränken. Da werde mit zweierlei
Maß gemessen.
Thomas Münch, ebenfalls von der FH, zitierte aus einer
Befragung von rund
3000 Altstadt-Bewohnern: "Ich war sehr überrascht, dass
die kaum Probleme
miteinander hatten, egal ob Millionäre oder Wohnungslose.
Die empfinden
vielmehr die Kegelvereine aus dem Sauerland als Problem, die
am Wochenende
die Altstadt belagern." Beifall unter den rund 100
Menschen vor der Bühne.
"Nein", konterte Karl-Heinz Eiffler
vom Altstadt-Marketing, "das
eigentliche Problem der Altstadt
ist ihr Erfolg." Sie sei für Besucher nun
mal sehr attraktiv, und die männlichen Gäste seien nicht
alle
"Wildpinkler". Zur WZ
sagte Eiffler: "Es geht um ein sinnvolles
Zusammenleben, die Straßenordnung enthält bestimmte Regeln,
die für alle
gelten." Deshalb sei er für die Beibehaltung dieser
Vorschriften.
Streetworker Thomas Wagner sprach einen entscheidenden Punkt
an: "Wir
betreuen viele Wohnungslose und fifty-fifty-Verkäufer,
und wir haben
Beschwerden von Geschäftsinhabern, die diese Leute nicht
hier haben
wollen." Die Stadt sei aber für alle Bürger da.
"Nicht für Kölner", gröhlte
ein Punk dazwischen.
Vielleicht, schlug Wagner vor, könne eine Ombudsperson zwischen den
verschiedenen Interessensgruppen vermitteln. In Köln
funktioniere das. "Das
wäre ein direkte Hilfe, wenn der Mann oder die Frau von
Wohnungslosen und
der Stadt akzeptiert würde."
Als Anfang begreift FH-Professor
Klaus Riekenbrauk die mehrstündige
Veranstaltung, zu der die eingeladene Ordnungsbehörde nicht
erschien. "Das
Düsseldorfer Leitbild sollte Toleranz sein", lautet
sein Appell.
05.05.06
Von Peter Littek
© Westdeutsche Zeitung
Lauter Störenfriede?
Mehr Straßenordnung bringt nicht weniger Armut.
D ie da. Wir hier. Und dazwischen
viel Platz für Ablehnung, Vorurteil und
Verärgerung. Ist immer so, kaum dass der
erste Sonnenstrahl die dunklen
Seiten im reichlich mit Wohlstand gesegneten Düsseldorf
krass beleuchtet.
Ob in Oberbilk, in der Altstadt, Flingern oder Friedrichstadt, überall so
scheint´s, nehmen Obdachlose, Bettler,
Arme, fiftyfifty-Verkäufer und
Arbeitslose Platz. Da wo die
sitzen, wollen wir nicht sein? Klar, es ist
allemale angenehmer, sich aus dem
Fenster zu lehnen und das Elend von oben
zu beobachten, als da unten zu sitzen. Lauter Störenfriede, die?Es ist
aberwitzig, an der Straßenordnungsschraube mit dem Effekt
der Verdrängung
für optische Sauberkeit auf den Innenstadtstraße sorgen zu
wollen. Nach dem
Motto: Lasst uns mal Unliebsames in die Randviertel
schieben, Hauptsache,
wir werden um Kö & Co. nicht behelligt.Falsch. Wer gegen Bettler und
Randalierer vorgehen will, der hat bereits die Mittel dazu -
was der
Einsatz des OSD täglich zeigt. Mehr Straßensatzung bringt
nicht weniger
Armut. Den Beweis dafür haben wir seit zehn Jahren.
Wichtiger - täglich
abzulesen an den Schlangen vor den Mittagstischen am Rathaus
und an der
Klosterstraße - ist Prävention: Zum Beispiel in
Straßensozialarbeit mehr zu
investieren. Und übrigens: Wer in der Großstadt lebt, muss
die Gegenwart
von Armut ertragen können. Die Straße gehört allen. Alles
andere ist eine
Landpartie mit Gaukelei.
04.05.2006 ANNA LEWY
Die Straße gehört allen?
DISKUSSION / Zehn Jahre Straßenordnung. Erstes öffentliches
"Berbersymposion" mit Experten auf der Königsallee.
Pater Sieffert:
"Obdachlose können nun mal nicht vor dem Uerige feiern."
Die Rentnerin auf der Kö-Bank
zeigt auf das Gedränge auf der
Trinkaus-Brücke: "Die sollten
denen lieber Gulaschsuppe kochen, dann geht´s
denen auch wieder gut. Mich haben Obdachlose noch nie
gestört - das sind
doch Menschen!" Neben dem Plakat "Die Straße
gehört allen", diskutierten
gestern 60 Studierende der Sozialwissenschaften an der
Fachhochschule,
Sozialarbeiter und Experten beim bundesweit ersten,
öffentlichen
"Berbersymposion" über Wohnungslose, die
"Platte machen", und die jetzt
zehn Jahre alte Straßenordnung.
Und damit auch über den städtischen Ordnungsdienst (OSD),
der sie umsetzt
und eben gerade Obdachlose von Straßen und Plätzen der
Innenstadt
vertreibe, weil "aggressives Betteln" oder
"Lärmen" verboten sind.
Schwammige Formulierungen, kritisiert FH-Jurist
Professor Klaus
Riekenbrauck, "außerdem ist
das alles bereits vom Strafgesetzbuch unter
Nötigung abgedeckt." Gefängnis-Pfarrer Pater Wolfgang Sieffert berichtet
aus dem Gefängnis, "da sitzen einige, die hatten
Platzverweise und ein
Ordnungsgeld, das konnten sie nicht bezahlen."
Verweise, weil sie in der
Altstadt Bier tranken oder lärmten.
Platzverweis und Ordnungsgeld
"Hinter das Motto ,Die Straße
gehört allen´ muss wohl ein Fragezeichen",
meint der Pater. "Denn Obdachlose können nun mal nicht
vor dem Uerige
Geburtstag feiern, sondern nur am Burgplatz oder auf der
Straße." Und da,
so berichtet es auch der wohnungslose Mittdreißiger Karlo,
wurde er bei
seiner Feier immer wieder vertrieben, bekam einen
Platzverweis mitsamt
Ordnungsgeld.
Ein 48-jähriger Banker von der Kö,
der seinen Namen nicht nennen möchte,
fühlt sich beim Blick auf die Wohnungslosen allerdings
"eher hilflos, nicht
belästigt. Das macht eher betroffen." Mitleid empfinden
auch Felix und
Sabine Tietmeyer (30 und 26), die nahe der Kö wohnen und arbeiten. "Wir
begegnen regelmäßig Bettlern. Hier ist noch nie was
passiert." "Sie zeigen
ja, das es bei uns Armut gibt,"
sagt Andrea Kranz (27). Und Kö-Passant Jörn
Thomsen (32) meint nachdenklich:
"Das kann ja eigentlich jedem passieren,
irgendwann so ein Schicksalsschlag . . ."
Im Modegeschäft "Eickhoff"
an der Kö 30 erinnert sich Geschäftsführer Falk
Pittelkow an höchstens "zwei
oder drei Mal in 25 Jahren", dass ein Bettler
vor dem Schaufenster saß. "Nach einem Gespräch, weil
sie die Auslage
verdeckten, haben sie sich einen anderen Platz
gesucht."
Karl-Heinz Eiffeler vom
Altstadtmarketing betont, jeder müsse sich
"ordentlich benehmen", "die Interessen aller
müssen gewahrt bleiben." Wegen
der Bettler "sagen eben einige Geschäftsleute, das kann
ich mir vor meinem
Schaufens-ter einfach nicht
leisten," wirbt er um Verständnis.
Die Armut nimmt zu
Die Schätzungen, wie viele Menschen wirklich auf der Straße
leben,
differieren: Pater Sieffert
rechnet mit 300, Sozialarbeiter Ongaro mit 350.
Aber "die Armut nimmt zu. In den letzten drei Jahren
haben 550 Menschen
einen Ausweis () beantragt. Bis dahin gab es nur 400."
Für Pater Sieffert ist "bei
allen außer der CDU klar, dass es andere
Möglichkeiten geben muss, Konflikte zu lösen." Obwohl
eingeladen, kam kein
offizieller Vertreter des OSD zur Diskussion. Außer der CDU
schickten alle
Parteien Vertreter zum Symposion.
04.05.2006 JO ACHIM
GESCHKE (Text) WINFRIED GÖLLNER (Fotos)
Betteln - eine Bagatelle?
Premiere auf der Kö: Wohnungslose,
Wissenschaftler und Geschäftsleute
diskutierten auf dem Berbersymposium die Düsseldorfer
Straßenordnung. Im
Herbst wird über diese Ordnung neu entschieden.
VON NORBERT KLEEBERG
Treffpunkt Kö. Dort, wo die
Gegensätze heftig aufeinander prallen, wo Luxus
und Armut großstädtische Gegenpole bilden, dort bemühten
sich Obdachlose,
Vertreter der Fachhochschule (FH) Düsseldorf, Politiker und
Geschäftsleute
um eine Bilanz. Seit zehn Jahren gibt es die „Düsseldorfer
Straßenordnung“,
die Grundlage dafür ist, dass der kommunale Ordnungs- und
Servicedienst
(OSD) bei Bedarf eingreifen kann. Im Herbst läuft die
Gültigkeit der
Straßenordnung aus und wird in den politischen Gremien
wieder Thema sein -
was sie ohnehin häufig war.
Ruth Enggruber, Dekanin an der FH,
freut sich, dass es zu diesem ersten
Symposium überhaupt gekommen ist. Da erzählten Betroffene
aus ihrem Leben
mit dieser Straßenordnung. Und Dominikanerpater Wolfgang Sieffert, der sich
stark für die Altstadt-Armenküche engagiert, formulierte
deutlich, was ihn
besonders stört. Auf den Paragraphen sechs könne man
verzichten, erzählte
er, denn allzu oft erlebe er, dass der OSD - „der Situation
nicht
angemessen“ - gegen Obdachlose vorgehe. „Die Straße ist aber
ihr
Lebensraum“, betonte Sieffert.
Betteln - eine Bagatelle? Paragraph sechs sieht vor,
aggressives und
bandenmäßig organisiertes Betteln zu ahnden. „Und wir fahren
mit dieser
Linie gut“, erklärte Ordnungsdezernent Werner Leonhardt.
Allein im
vergangenen Jahr habe es rund 3100
Verstöße gegen die Straßenordnung
gegeben - in 2309Fällen war der Paragraph sechs die
Grundlage fürs
Einschreiten des OSD, der aus Sicht von Helmut K. mitunter
zu hart
durchgreift. „Du störst das Stadtbild“, habe ihm ein
Mitarbeiter des OSD
zugerufen. In einem Arbeitspapier, das die Organisatoren
verteilten, wird
bilanziert: „Viele Menschen leiden täglich unter der
Düsseldorfer
Straßenordnung. Sie können sich wegen ihrer persönlichen
Lebensumstände wie
Drogenabhängigkeit nur schlecht juristisch gegen die
Maßnahmen wehren.“
Für Ordnungsdezernent Leonhardt ist klar: „Wir leben nicht
in einem
Paradies, und es kann nicht sein, dass aggressives Betteln ungeahndet
bleibt.“ Häufig würden auch Kinder vorgeschickt, „dahinter
stecken dann
organisierte Banden“. Leonhardt geht davon aus, dass die
Gültigkeitsdauer
der Straßenordnung im Herbst verlängert wird. Für die
Organisatoren eine
klare Botschaft und der Auftrag, sich weiter intensiv mit
dem Thema zu
beschäftigen. „Mut zur sozialen Verantwortung“ - so die FH -
war das
Leitmotiv der Kö-Premiere.
- /VON NORBERT KLEEBERG
Quelle:
Verlag: Rheinisch-Bergische Druckerei- und
Verlagsgesellschaft mbH
Publikation: Rheinische Post Düsseldorf
Ausgabe: Nr.104
Datum: Freitag, den 05. Mai 2006
Seite: Nr.14