2017 fehlen in Deutschland 400.000 Wohnungen
Angesichts von Wohnungsnot und steigender
Mieten in Großstädten fordert Peter Ramsauer mehr sozialen Wohnungsbau – in den
Ländern aber läuft der Bundesbauminister mit dem Vorstoß ins Leere.
© welt infografik Die Zahl der
Sozialwohnungen ist in den vergangenen neun Jahren heftig gesunken Bild
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Der Befund ist ziemlich eindeutig und wird von kaum
jemandem bestritten: Vor allem in Ballungszentren wird es für viele Bürger
zunehmend schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Experten sprechen gar
davon, dass Deutschland auf eine neue Wohnungsnot zusteuert. Bundesbauminister
Peter Ramsauer fordert deshalb: "Wir brauchen mehr sozialen
Wohnungsbau." Die Bundesländer, die für die Förderung zuständig seien,
würden zum Teil zu wenig für den sozialen Wohnungsbau tun, kritisierte Ramsauer
in der "Welt am Sonntag":
"Da gibt es durchaus noch Spielraum."
Viele Mitstreiter findet Ramsauer mit seiner Forderung
nicht. "Die Kritik von Minister Ramsauer ist völlig abwegig", empört
sich der nordrhein-westfälische Bauminister Michael Groschek
(SPD). Auch FDP-Generalsekretär Patrick Döring, der im Bundestagsausschuss für
Bau und Stadtentwicklung sitzt, kann Ramsauers Forderung nichts abgewinnen.
Döring fordert nicht mehr, sondern eine bessere Verteilung der Mittel und
Veränderungen im Planungsrecht.
Die Opposition ist erst recht nicht auf einer Linie
mit dem Minister. Die schwarz-gelbe Koalition habe den Mangel an Wohnungen
selbst verursacht, sagt Matthias Höhn, Bundesgeschäftsführer der Linken.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wolle den Bundeshaushalt ja "mit
forcierter Privatisierung des Wohnungsmarktes" sanieren.
Ab 2017 sollen 400.000 Wohnungen fehlen
Seit einiger Zeit weisen nicht nur Experten aus der
Immobilienbranche darauf hin, dass Wohnraum knapp wird. "Vor allem in
dynamischen Wachstumsregionen zeichnen sich zunehmende Verknappungen ab",
heißt es im jüngsten Raumordnungsbericht der Bundesregierung. Die Zahl der
Städte und Kreise mit hohen Mietsteigerungen nehme zu. "In der Folge
könnte es in einigen Regionen für einkommensschwächere Haushalte schwieriger
werden, angemessene und erschwingliche Wohnungen zu finden", heißt es in
dem Bericht, den Ramsauers Ministerium erstellen ließ und im Januar an den
Bundestag schickte. Und weiter: "Die schon seit Jahren niedrige
Neubauquote wird in nachfragestarken regionalen Immobilienmärkten mittelfristig
zu Wohnungsknappheit führen."
© welt infografik Erst seit den letzten
beiden Jahren zieht der Neubau in Deutschland wieder an
Eine Studie des Pestel-Instituts
in Hannover, das unter anderem Kommunen berät, prognostiziert für 2017 einen
Mangel von 400.000 Wohnungen. Dabei ist die Lage in Deutschland sehr
unterschiedlich. Während in den städtischen Zentren in Westdeutschland Wohnraum
knapp wird, stehen in vielen ostdeutschen Städten zahlreiche Wohnungen leer.
Ein Grund für die zum Teil angespannte Lage ist der
Trend zu mehr Singlehaushalten, wodurch sich die Zahl der Haushalte auch bei
schrumpfender Bevölkerung vergrößert. Zudem gibt es mit höherem Einkommen und
Wohlstand den Wunsch nach größerem Wohnraum.
Investoren haben ihr Geld seit mehr als zehn Jahren
aber vor allem in bestehende Wohnungen gesteckt, erst seit den letzten beiden
Jahren zieht der Neubau wieder an. Daten des Bundesverbands deutscher Wohnungs-
und Immobilienunternehmen (GdW) zufolge fließt jedoch rund die Hälfte der
Investitionen in Neubauprojekte, die anschließend sehr teuer zu vermieten sind.
Nur weniger als jede fünfte neue Wohnung wird für das "untere
Preissegment" gebaut, das von knapp vier Euro bis neun Euro Kaltmiete
reicht.
Sozialer Wohnungsbau "kein Allheilmittel"
Wie eine Umfrage von Infratest Dimap
im Auftrag der "Welt am Sonntag" zeigt, erwarten sechs von zehn
Bundesbürgern angesichts dieser Situation ein Eingreifen des Staates. Je
geringer das Einkommen, desto größer ist diese Erwartung, dies ist quer durch
alle Parteien so. Nur Anhänger der Grünen lehnen einen Staatseingriff
überwiegend, nämlich zu 53 Prozent, ab.
© Mieten2 Sollte
der Staat eingreifen, um den Anstieg der Mieten in den Großstädten zu
begrenzen?
Wäre mehr sozialer Wohnungsbau also ein Weg, den
Wohnungsmangel zu beheben und steigende Mieten zu begrenzen? Berlins
Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) hält dies für "die teuerste
Variante, um bezahlbares Wohnen zu erreichen". Auch der
SPD-Bundestagsabgeordnete Uwe Beckmeyer, Mitglied im
Ausschuss für Bau und Stadtentwicklung und früher Verkehrssenator in Bremen,
findet, Ramsauer "läuft mit seiner Forderung der Diskussion
hinterher".
Der soziale Wohnungsbau sei wichtig, aber kein
Allheilmittel. Die Vergangenheit zeige, dass dies zu Fehlentwicklungen führen
könne, die nur mit großem Aufwand zu reparieren seien: "Zu viel sozialer
Wohnungsbau kann dazu führen, dass ganze Stadtteile sozial kippen können",
warnt Beckmeyer. Er empfiehlt die Förderung von
Wohnungsbaugenossenschaften.
Grüne fordern von Ramsauer Neujustierung der Mittel
Daniela Wagner, Sprecherin für Bau- und
Wohnungspolitik der grünen Bundestagsfraktion, fordert Ramsauer zwar auf, sich
für den Erhalt der Mittel für den sozialen Wohnungsbau einzusetzen. Mindestens
so wichtig sei, dass die Länder in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten
befristet Mietpreisobergrenzen festlegen könnten. Auch dürfe es keine
Verschärfung des Mietrechtes zulasten der Mieter geben.
© Mieten Die
höchsten Durchschnittsmieten und die größten Steigerungen in deutschen
Großstädten im Überblick
Derzeit bezuschusst der Bund den sozialen Wohnungsbau
insgesamt mit 518 Millionen Euro, wobei die Bundesländer sehr unterschiedlich
davon profitieren. Verteilt wird das Geld nach einem Schlüssel, der auch für
andere Arten von Zuschüssen des Bundes an die Länder gilt. Maßstab ist dabei
das Steueraufkommen der Länder und ihre Einwohnerzahl – um die Notwendigkeit,
Wohnungsbau zu fördern, geht es dabei nicht.
So kommt es, dass Nordrhein-Westfalen 79 Millionen
Euro aus dem Bundeshaushalt bekommt. Seine Landesregierung fördere den sozialen
Wohnungsbau aber mit 850 Millionen Euro, sagt Bauminister Groschek:
"Wir tun dafür, was wir können."
Minister Ramsauer solle lieber "endlich
Klarheit" schaffen, wie es mit den Bundesmitteln nach 2013 weitergeht,
verlangt Groschek. Ein Sprecher Ramsauers sagte zwar,
dass zwischen Bund und Ländern über die weitere Förderung des sozialen
Wohnungsbaus verhandelt werde. Ob sich der Minister dabei für eine
Neujustierung einsetzt, konnte er aber nicht sagen.
FDP will Bebauung innerstädtischer Brachen
FDP-Generalsekretär Döring meint, dass dies dringend
nötig sei: "Die Mittel sollten besser nach Bedarf und nicht nach
Himmelsrichtung verteilt werden." Im Übrigen verweist Döring darauf, dass
der Neubau von Wohnraum in der Stadt noch anders befördert werden könne: indem
das Genehmigungsrecht so verändert werde, dass innerstädtische Brachflächen
einfacher bebaut werden könnten.
Auch könnten mehr Gewerbegebäude in Wohnraum
umgewandelt werden. Diese Möglichkeiten nennt auch der Raumordnungsbericht aus
Ramsauers Ressort als aussichtsreichste Optionen für mehr städtische Wohnungen.
9.7.12