Düsseldorfer Stadtpost

Notruf ins Rathaus

Stadtplätze werden zu sozialen Brennpunkten. Besonders schlimm ist es im Herzen von Eller. 50 Anwohner haben einen Protestbrief verfasst. S-Bahn-Haltepunkt praktisch aufgegeben. Senioren sprechen von Vertreibung.

VON LUDOLF SCHULTE


Stadtplätze werden zu sozialen Brennpunkten. Der Spichernplatz in Derendorf, der Freiheitsplatz an der Vennhauser Allee - und im Herzen eines Stadtteils der Gertrudisplatz in Eller. 50 Anwohner, Geschäftsinhaber, Eltern: Sie haben einen Alarmbrief im Rathaus abgegeben. „Grölen, Handgreiflichkeiten und sogar Bedrohungen mit abgeschlagenen Bierflaschen und Messern sind an der Tagesordnung“, heißt es in dem Brief.


Was ist los in diesem Stadtteil, im dem die Provinzial-Versicherung gerade das Schloss herausputzt? Eller ist mit S-Bahnen gut zu erreichen. Der Haltepunkt „Mitte“ ist vorzeigbar, der Halt „Süd“ nicht. Es sieht so aus, als habe die Bahn diesen Stopp abgeschrieben. Die Unterführung ist komplett versifft, auf dem Bahnsteig ist so gut wie nichts mehr heil.


Der Gertrudisplatz, ein paar hundert Meter weg, ist ein schöner Platz. Gesunde Bäume geben Schutz, vermitteln Geborgenheit. Den Platz teilen sich Kinder mit fest installierten Spielgeräten und Markthändlern. Die Häuser an den Flanken wirken gepflegt. Am Bezirksrathaus lädt ein Schild „Trauzimmer“ ein. Es öffnet sich nach hinten raus in einen wie mit dem Zirkel gepflegten Garten. Aber nur für geladene Gäste.


In der Mitte des Gertrudisplatzes steht eine mächtige Linde, dekoriert von geschwungenen Sitzgelegenheiten aus Metall. Ein Treffpunkt zum Klönen. Wie in Spanien oder Italien. Eine Boule-Bahn würde gut ins Bild passen.


Was heimelig sein könnte, ist es jedoch nicht. Alkoholkranke haben die Regentschaft übernommen. „Wir werden vertrieben“, klagt ein Rentner und hebt die Faust. Er ist wütend. Nur freitags kann er noch auf den Platz. Morgens kommen Kranke und Obdachlose aus vielen Stadteilen angefahren. In einem Raum der Kirche gibt‘s nämlich ein Gratis-Frühstück. Später geht‘s auf dem Platz weiter. Und zur Sache.


Gleich vor der Sparkasse stehen unansehnliche Container für Flaschen und Papier. Geld, sie in den Boden zu versenken, wird nicht bereit gestellt. Es fehlt an politischem Druck. Container-Look und Alkoholkonsum vertragen sich gut. Die Bänke müssen oft von Kot gesäubert werden. Während der Schulzeit treffen sich Kinder dort. „Die werden hier von Lehrern eingesammelt“, erzählen die Alten. „Dann machen sie die Flitze.“


Freizeit statt Schulzeit. Im Bezirksrathaus, dem Sitz des Stadtteil-Parlaments, weiß niemand, welche Formen von Kriminalität sich unter Jugendlichen entwickelt haben. Es zählt das Recht der Stärkeren. Wer sein Handy nicht gleich rausrückt, „muss zum Arzt“, bekennt ein Täter voller Stolz. Bei der Polizei werden solche Vorfälle nie angezeigt.


Markthändler haben einen wichtigen Schlüssel. Den zu einer Behinderten-Toilette am Rande des Platzes. Auf die kann man nur morgens noch gehen, nachmittags nicht mehr. Dann ist sie verdreckt. Peter Frymuth, Chef im Bezirksrathaus, will die Toilette „so schnell wie möglich dicht machen und verlegen“. Bald sollen taugliche Pläne die Politik erreichen. Wann bald ist? Genau weiß das niemand.


Immerhin: Die Stadtteil-Parlamentarier beginnen sich zu rühren. Es sieht so aus, als würden sie den Kampf um ihren Platz jetzt mit härteren Bandagen führen wollen. Ihnen ist nicht verborgen geblieben, dass sich die ersten Ultrarechten schon auf der Bildfläche zeigen, um Jugendliche zu ködern.


KOMMENTAR SEITE B 2

- /VON LUDOLF SCHULTE


Quelle:
Verlag: Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH
Publikation: Rheinische Post Düsseldorf
Ausgabe: Nr.158
Datum: Montag, den 11. Juli 2005
Seite: Nr.9

Düsseldorfer Stadtpost

Eine Politik

des Wegsehens


Die neue Landesregierung ist in der Gegenwart angekommen. Zumindest will sie alte Sprachzöpfe abschneiden.


Der Name Bezirksvorsteher - gleichermaßen anzuwenden auf Männer wie auf Frauen - kommt in die Abfalltonne. Kreiert werden Bezirksbürgermeister. Neuer Name, zugleich mehr Einfluss?


Abwarten: Das Landesparlament hat vor vielen Jahren zwar Stadtteil-Parlamente geschaffen, doch ihre Zuständigkeit zugleich auch begrenzt. Immerhin sind sie zuständig für das Erscheinungsbild ihres Bezirks.


So gesehen ist zu fragen: Was eigentlich hat das Parlament im Bezirk 8 Eller getan für den zentralen Platz im Stadtteil? Oder hat es weggeschaut, als erste Anzeichen für Veränderungen in Richtung eines sozialen Brennpunktes erkennbar wurden?


Aus der Frage eine pauschale vorwurfsvolle Antwort zu geben, ist einfach. Vielleicht auch nicht gerecht. Doch fällt auf: Der Alarmruf von Anwohnern, von Gastwirten oder Händlern ist nicht an die Bezirksleitung gerichtet, sondern an den Oberbürgermeister. Man könnte annehmen, dass die Beschwerdeführer kein Vertrauen in die bezirkliche Verwaltung haben.


Die Protestler offenbaren damit ein Gespür für die tatsächlichen Verhältnisse. Die Platzbedingungen in Eller haben sich mittlerweile so verschlechtert, dass es zu einem umfassenden Großreinemachen kommen muss - nicht zuletzt mit Hilfe der Bahn AG und im Zusammmenwirken mit ortsnahen Schulen. Lehrer sammeln ihre Kinder ein. Wo gibt's das wohl sonst noch?

LUDOLF SCHULTE

- /LUDOLF SCHULTE


Quelle:
Verlag: Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH
Publikation: Rheinische Post Düsseldorf
Ausgabe: Nr.158
Datum: Montag, den 11. Juli 2005
Seite: Nr.10