Sozialdienst: 12,5 Prozent sind arm
Mit einer Aktion vor dem Carsch-Haus
machte der Sozialdienst katholischer Frauen und Männer klar: Auch in einer
relativ reichen Stadt wie Düsseldorf gibt es Kinder, die ohne Stulle oder
Sportsachen in die Schule kommen, weil ihre Eltern am Ende des Monats einfach
kein Geld mehr haben.
VON JÖRG JANSSEN
Gestern Nachmittag, vor dem Carsch-Haus: Marita
Kessler geht auf Passanten zu. Ihr Thema an diesem Weltspartag sind
Düsseldorfer, die gar nicht sparen können. Weil sie keinen Cent in der Tasche
oder auf dem Konto haben. „Selbstverständlich gibt es in Düsseldorf Arme“,
sagt die Mitarbeiterin des Sozialdienstes katholischer Frauen und Männer
(SKFM). Mit Hilfe einer Schuh-Biografie (Kinder tragen ausgetretene ungeeignete
Exemplare auf) erläutert sie, was „arm“ inmitten einer boomenden Metropole
bedeutet, die sich bisweilen schal schmeckende Witze über die Zahl ihrer
Pelz-Trägerinnen gefallen lassen muss.
„Viele Familien haben am Ende des Monats kein Geld mehr zum Einkaufen. Die
Kinder kommen ohne Pausenbrot in die Schule, manchmal helfen wir mit zehn
oder 20 Euro aus, damit es zu Hause eine warme Mahlzeit gibt“, berichtet
Petra Evertz, Leiterin der Familien- und
Erziehungsberatungsstelle des Sozialdienstes.
„12,5 Prozent aller Düsseldorfer Bürger beziehen Mindestsicherungsleistungen.
Jedes fünfte Kind ist im Landesschnitt arm“, zitiert SKFM-Geschäftsführer
Heinz-Werner Schnittker den aktuellen
NRW-Sozialbericht. Das höchste Armutsrisiko haben Arbeitslose, Alleinerziehende,
Geringqualifizierte, Kinderreiche, Menschen über 65 Jahre und Migranten. „Ein Drittel der Hartz-IV-Bezieher
sind Aufstocker, bei denen das reguläre Gehalt oder
die Rente einfach nicht reicht“, wendet sich Schnittker
gegen das gängige Vorurteil, wer arm sei und beispielsweise Schulden habe,
sei irgendwie auch selbst schuld an seiner Misere. Richtig sei vielmehr, dass
es (fast) jeden treffen könne. Oft katapultierten Jobverlust, Trennung oder
eine längerfristige psychische Erkrankung einen Menschen ins finanzielle und
soziale Abseits. „Wir helfen immer wieder Menschen, die jahrzehntelang ihr
Leben im Griff hatten“, sagt Gabriele Hellendahl,
die beim SKFM die Schuldnerberatung leitet.
Die familienpolitischen Leistungen der Landeshauptstadt nennt Schnittker „vorbildlich“. Allerdings könnten sie die
Defizite, beispielsweise auf Bundesebene, nicht ausgleichen. So sei die
Abschaffung einmaliger Beihilfen ein Armutsrisiko ersten Ranges. „War früher
die Brille oder die Waschmaschine kaputt, wurde mit Hilfe der Sozialbehörde
eine neue angeschafft. Das gibt es nicht mehr, mit einschneidenden Folgen“,
erklärt Hellendahl. So werde das dafür benötigte
Geld auf den Regelsatz (rund 370 Euro pro Monat bei Alleinstehenden) als
Darlehen angerechnet und müsse zurückgezahlt werden. Dadurch sinke das
verfügbare Real-Einkommen weiter. „Kinder werden gehänselt, weil sie ohne
Stulle oder Sportsachen in die Schule kommen. Aber die Eltern können häufig
nicht anderes, es fehlt gerade am Monatsende einfach das Geld“, sagt Kessler.
Neben der Wiedereinführung der einmaligen Beihilfen erhebt der SKFM weitere
Forderungen an die Politik. So müsse der Hartz-IV-Regelsatz
für Kinder angehoben, alle schulischen Kosten müssten übernommen werden
(Lernmittelfreiheit). Ebenfalls auf der Liste: ein kostenloses Mittagessen in
Bildungseinrichtungen, die Reform des Bildungs- und Teilhabegesetzes („zu
viel Bürokratie“) sowie mehr bezahlbarer Wohnraum. Für Petra Evertz „in Düsseldorf ein Thema mit viel sozialer
Sprengkraft“.
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