Prostituierte demonstrieren für Erhalt ihrer Jobs
Dortmund (ock) Rund 60
Prostituierte und Unterstützer haben gegen die geplante Schließung des
Dortmunder Straßenstrichs demonstriert. Organisiert wurde die Kundgebung von
der katholischen Hilfseinrichtung „Kober“. Um nicht
erkannt zu werden, trugen die Teilnehmerinnen Sonnenbrillen und Perücken. Der
kleine Demonstrationszug ging vom Straßenstrich in der Nordstadt zum Rathaus.
Politiker von SPD und CDU hatten zuvor angekündigt, in der
nächsten Ratssitzung am 31. März für ein Verbot des Straßenstrichs stimmen zu
wollen.
Auf dem Dortmunder Straßenstrich arbeiten bis zu 600
Prostituierte. Die meisten sind Roma aus dem bulgarischen Stolipinovo.
Viele von ihnen sind Analphabetinnen.
Die Polizei befürwortet ein Verbot, weil es durch den
Straßenstrich zu einem Anstieg der Kriminalität im Stadtteil gekommen sei. „Kober“ befürchtet dagegen eine Gefährdung der Frauen, die
bislang mit Alarmanlagen gesicherte „Verrichtungsboxen“ benutzen können.
Publikation
Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH
Lokalausgabe
Rheinische Post Düsseldorf
Erscheinungstag
Freitag, den 25. März 2011
Seite 3
Prostituierte, Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle Kober und weitere Sympathisanten demonstrieren mit einem
Protestmarsch gegen die geplante Schließung des Straßenstrichs. Foto: WAZ FotoPool
Dortmund. Einen solchen Aufmarsch hat die Stadt
noch nicht gesehen: Prostituierte kämpfen in Dortmund mit Trillerpfeifen für
den Erhalt des Straßenstrichs. Auch Freier haben sich angeschlossen.
Transparente, Trillerpfeifen, Luftballons – als hätte die IG Metall zu der
Demonstration aufgerufen. Doch dieser Arbeitskampf wurde nicht von
Gewerkschaftern, sondern von Prostituierten organisiert. Einen solchen Aufmarsch hat die Stadt noch nicht gesehen: Mehr als 60
Prostituierte und noch mal so viele Unterstützer marschierten gestern durch die
Dortmunder Innenstadt, legten für kurze Zeit die Hauptverkehrsader, den
Wall, lahm. Sie kämpfen für den Erhalt des Straßenstrichs. In der Hand Plakate,
auf denen steht: „Wir haben Angst um unsere Sicherheit“ oder „Lieber
Prostitution als Hartz IV“.
Video
"Marsch der Huren" Dortmunds Prostitutierte
demonstrierten gegen das Aus des Straßenstrichs und
für mehr Sicherheit.
Sie wehren sich gegen das, was die Polizei in Dortmund wünscht,
was zurzeit politisch diskutiert und von der Mehrheit bereits favorisiert wird:
Die Schließung des Straßenstrichs an der Ravensberger
Straße. Ende März soll der Rat der Stadt darüber entscheiden.
Der Strich ist aus Sicht des Dortmunder Polizeipräsidenten der zentrale
Anziehungspunkt für Menschen aus Rumänien und Bulgarien, die in organisierten
Banden nicht nur in der Dortmunder Nordstadt, sondern in ganz NRW kriminell
aktiv sind. Prostitution ist eine der wenigen Möglichkeiten, für die von Armut
getriebenen Menschen, in Deutschland zu arbeiten. Die andere Art an Geld zu
kommen: Diebstähle. Davon verzeichnete die Polizei im vergangenen Jahr in
Dortmund dreimal so viele wie im Jahr zuvor.
Seit 2007 Rumänien und Bulgarien EU-Mitglieder sind, finden sich die Zuzügler aber nicht nur in der Kriminalitätsstatistik
wieder. Auch auf dem Straßenstrich standen immer mehr Frauen aus diesen
Ländern. Zuletzt wird von bis zu 600 Frauen im Jahr gesprochen, 80 bis 90
Prozent aus Bulgarien und Rumänien. Die These der Polizei: Schließt man den
Strich, ist Dortmund nicht mehr so attraktiv für diese Menschen.
Die deutsche Prostituierte Dany versteht, worum es der Polizei geht: „Sie
wollen damit die Kriminalität verbannen. Aber wir sind nicht kriminell“, sagt
sie. „Die Schließung ist doch nicht die Lösung für alle Probleme in der
Nordstadt.“ Stattdessen würden die Frauen verdrängt, an unsichere Orte. Für sie
steht fest: Wenn der Strich geschlossen wird, werden sich die Frauen in der
Stadt einen anderen Platz suchen. „Die meisten haben kein Geld für eine
Fahrkarte, die gehen nicht in eine andere Stadt“, sagt sie. Und ein Bordell
käme auch nicht in Frage. „Da müsste ich am Tag 100 Euro oder mehr für ein
Zimmer zahlen. Das nenne ich Ausbeutung und Zuhälterei.“
Die Vermutung einiger Politiker, dass Menschenhändler die „Ravensberger“ kontrollierten, findet sie abwegig.
Die 36-Jährige, die seit fünf Jahren als Prostituierte auf dem Strich
arbeitet, ist überzeugt: „95 Prozent der Frauen dort arbeiten selbstbestimmt.“ Auch die 27 Jahre alte Camelia
aus Bulgarien sagt, dass sie keinem Mann gehorcht. Seit sechs Monaten ist sie
in Dortmund. „Der Strich ist sicher“, sagt sie in gebrochenem Deutsch. „In
Bulgarien ist alles scheiße.“ Deswegen sei sie nach Deutschland gekommen. Hier
lebe sie allein, ohne Familie. „Eine Katastrophe“ sei die Mallinckrodtstraße
mit ihren vermüllten und besetzten Häusern, auf dem
Strich sei es aber ok, sagt sie und hält den Daumen
hoch.
An der Mallinckrodtstraße wohnt Sebastian, der
auch demonstriert. Nicht der einzige Mann, viele Freier haben sich den Frauen
angeschlossen. „Wenn der Strich geschlossen wird, hat das Vergewaltigungen zur
Folge.“
Dass die Frauen auf der Ravensberger Straße
kontrolliert und sicher arbeiten, davon ist Elke Rehpöhler
von der Beratungsstelle Kober überzeugt. Kober steht dort mit einem Container, in dem die Frauen
medizinische Versorgung bekommen, gesundheitlich aufgeklärt werden. Wo sie
etwas essen und auf die Toilette gehen können. Und es gibt die
Verrichtungsboxen. Dort können die Freier parken. Die Frauen haben an der
Beifahrerseite die Möglichkeit auszusteigen, und einen Alarmknopf zu drücken.
„Wir wollen auch keine Kriminalität“, sagt Rehpöhler, die ebenfalls mitdemonstrierte. „Aber die gibt es auch nicht auf der Ravensberger Straße.“
http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/Huren-Demo-Wir-lassen-uns-nicht-vertreiben-id4463121.html
28.03.2011 / Inland / Seite 2Inhalt jw
Sie haben Ende letzter Woche gemeinsam mit Huren gegen die Schließung
des Straßenstrichs in Dortmund demonstriert. Wann soll es soweit sein?
Der Beschluß soll am Donnerstag gefaßt werden. SPD und CDU haben schon klargestellt, daß sie den Strich in der Ravensberger
Straße ohne Wenn und Aber weghaben wollen. Die Grünen, Die Linke und die FDP
sind dagegen.
Wie begründen Union und Sozialdemokratie ihr Vorhaben?
Es gibt in Dortmund seit geraumer Zeit eine regelrechte
Kampagne gegen Roma, die aus der Region um die bulgarische Stadt Plovdiv hierherkommen. Mittlerweile
gehen viele Roma-Frauen auf dem Straßenstrich
anschaffen. SPD und CDU behaupten, dadurch habe sich ein kriminelles Umfeld neu
gebildet, das in der nahegelegenen Dortmunder
Nordstadt zu Problemen führe. Die Polizei reagiert mit Razzien, Repressalien
und erhöhter Präsenz.
Gibt es tatsächlich mehr Kriminalität?
Zumindest bis 2010 konnte ich in den offiziellen Daten keine
wesentliche Veränderung feststellen. Die Argumentation lautet, daß sich ein kriminelles Netz über ganz Deutschland lege,
das gehe von Dortmund aus. Wer aus Bulgarien stammt, bekommt noch immer nicht
automatisch eine Arbeitserlaubnis, sondern kann nur per Gewerbeschein tätig
werden. Für Frauen bedeutet das in der Regel Prostitution, während die Männer
auf dem sogenannten Schwarzarbeiterstrich ihre
Arbeitskraft anbieten.
Welche Nachteile hätte das Verbot des Straßenstrichs?
Auf der Ravensberger Straße können
die Frauen bislang sicher arbeiten. Es gibt dort sogenannte
Verrichtungsboxen. Die Freier fahren mit dem Auto hinein. Durch die Bauweise
kann nur die Beifahrerseite geöffnet werden. Die Prostituierten können den
Wagen schnell verlassen, während es den Freiern nicht möglich ist auszusteigen.
Die Gewaltkriminalität konnte so um 90 Prozent gesenkt werden. Außerdem werden
die Frauen dort vom Sozialdienst »Kober« betreut.
Wenn die Prostitution aus der Ravensberger Straße
verbannt würde, müßten die Huren in die Seitenstraßen
ausweichen und wären wieder Gewalt ausgesetzt. Sie würden auch aus dem
bisherigen Gewerbegebiet in Wohnbezirke ausweichen.
Dortmund will den Sperrbezirk auf die ganze Stadt ausweiten. Welche
Folgen hätte das?
Ein Großteil der Prostitution würde in die Vororte
verlagert. Wer in Dortmund bleibt, müßte illegal arbeiten.
Sicherheit, Beratung und ärztliche Versorgung fielen dann weg. Vielen Frauen
fehlt grundlegendes Wissen, etwa darüber, wie man ein Kondom benutzt. Ein
Dortmund-weiter Sperrbezirk würde die Verhältnisse nur verschlechtern.
Wenn es Unsinn ist, die Prostitution in Dortmund zu kriminalisieren,
warum bestehen Union und SPD dann darauf?
Das ist eine Kampagne gegen Roma-Frauen,
die von den Medien mitgetragen wird und die darauf abzielt, neue Sündenböcke zu
schaffen. Es wird immer weiter nach unten getreten. Da ist es einfach, sich die
Roma herauszugreifen. Nicht mehr die Hartz-IV-Bezieher
stehen am Ende der Stufenleiter oder der Alkoholiker oder Drogenkonsument,
sondern die Roma. Sie können sich auch am wenigsten wehren. Deshalb müssen wir
uns dazu bekennen, daß sie Hilfe brauchen. Dafür gibt
es EU-Integrationsfonds, aber die Kommunen zapfen sie nicht an, weil sie die
Probleme wegschieben wollen. Das funktioniert jedoch nicht. Mir wäre es auch
lieber, wenn die Prostituierten in geregelten Arbeitsverhältnissen wären. Seit
sie aber in den »Verrichtungsboxen« arbeiten, sind sie wenigstens kaum noch
Opfer von Gewalt. Das dürfen wir nicht aufgeben.
Richtet sich die Kampagne in erster Linie gegen die Prostituierten
oder gegen die Tatsache, daß es vor allem Roma sind?
Der Anlaß ist eindeutig die
Nationalität. Denn bevor die Bulgarinnen kamen, sprach niemand von einem
Problem. Aber jetzt soll »aufgeräumt« werden, jetzt kommt der »eiserne Besen«,
wenn man es böse formuliert. Menschen werden vertrieben, wenn sie im Auto
schlafen, Panik bricht aus, wenn Roma Restaurants übernehmen. In der Presse
stehen Überschriften wie »Warmes Wetter lockt Roma nach Dortmund«.
Haben Sie in Dortmund nicht schon genug Probleme mit Rassismus?
Es ist in der Tat beängstigend, was hier vor sich geht.
http://www.jungewelt.de/2011/03-28/003.php