Prostituierte demonstrieren für Erhalt ihrer Jobs

 

Dortmund (ock) Rund 60 Prostituierte und Unterstützer haben gegen die geplante Schließung des Dortmunder Straßenstrichs demonstriert. Organisiert wurde die Kundgebung von der katholischen Hilfseinrichtung „Kober“. Um nicht erkannt zu werden, trugen die Teilnehmerinnen Sonnenbrillen und Perücken. Der kleine Demonstrationszug ging vom Straßenstrich in der Nordstadt zum Rathaus.

 

Politiker von SPD und CDU hatten zuvor angekündigt, in der nächsten Ratssitzung am 31. März für ein Verbot des Straßenstrichs stimmen zu wollen.

 

Auf dem Dortmunder Straßenstrich arbeiten bis zu 600 Prostituierte. Die meisten sind Roma aus dem bulgarischen Stolipinovo. Viele von ihnen sind Analphabetinnen.

 

Die Polizei befürwortet ein Verbot, weil es durch den Straßenstrich zu einem Anstieg der Kriminalität im Stadtteil gekommen sei. „Kober“ befürchtet dagegen eine Gefährdung der Frauen, die bislang mit Alarmanlagen gesicherte „Verrichtungsboxen“ benutzen können.

 

Publikation

Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH

Lokalausgabe

Rheinische Post Düsseldorf

Erscheinungstag

Freitag, den 25. März 2011

Seite 3

 

 

Huren-Demo - „Wir lassen uns nicht vertreiben“

Dortmund, 24.03.2011, Christina Römer nrz

Prostituierte, Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle Kober und weitere Sympathisanten demonstrieren mit einem Protestmarsch gegen die geplante Schließung des Straßenstrichs. Foto: WAZ FotoPool

Dortmund. Einen solchen Aufmarsch hat die Stadt noch nicht gesehen: Prostituierte kämpfen in Dortmund mit Trillerpfeifen für den Erhalt des Straßenstrichs. Auch Freier haben sich angeschlossen.

Transparente, Trillerpfeifen, Luftballons – als hätte die IG Metall zu der Demonstration aufgerufen. Doch dieser Arbeitskampf wurde nicht von Gewerkschaftern, sondern von Prostituierten organisiert. Einen solchen Aufmarsch hat die Stadt noch nicht gesehen: Mehr als 60 Prostituierte und noch mal so viele Unterstützer marschierten gestern durch die Dortmunder Innenstadt, legten für kurze Zeit die Hauptverkehrsader, den Wall, lahm. Sie kämpfen für den Erhalt des Straßenstrichs. In der Hand Plakate, auf denen steht: „Wir haben Angst um unsere Sicherheit“ oder „Lieber Prostitution als Hartz IV“.

Video

"Marsch der Huren" Dortmunds Prostitutierte demonstrierten gegen das Aus des Straßenstrichs und für mehr Sicherheit.

Sie wehren sich gegen das, was die Polizei in Dortmund wünscht, was zurzeit politisch diskutiert und von der Mehrheit bereits favorisiert wird: Die Schließung des Straßenstrichs an der Ravensberger Straße. Ende März soll der Rat der Stadt darüber entscheiden.

Der Strich ist aus Sicht des Dortmunder Polizeipräsidenten der zentrale Anziehungspunkt für Menschen aus Rumänien und Bulgarien, die in organisierten Banden nicht nur in der Dortmunder Nordstadt, sondern in ganz NRW kriminell aktiv sind. Prostitution ist eine der wenigen Möglichkeiten, für die von Armut getriebenen Menschen, in Deutschland zu arbeiten. Die andere Art an Geld zu kommen: Diebstähle. Davon verzeichnete die Polizei im vergangenen Jahr in Dortmund dreimal so viele wie im Jahr zuvor.

Zuletzt wird von bis zu 600 Frauen im Jahr gesprochen

Seit 2007 Rumänien und Bulgarien EU-Mitglieder sind, finden sich die Zuzügler aber nicht nur in der Kriminalitätsstatistik wieder. Auch auf dem Straßenstrich standen immer mehr Frauen aus diesen Ländern. Zuletzt wird von bis zu 600 Frauen im Jahr gesprochen, 80 bis 90 Prozent aus Bulgarien und Rumänien. Die These der Polizei: Schließt man den Strich, ist Dortmund nicht mehr so attraktiv für diese Menschen.

Die deutsche Prostituierte Dany versteht, worum es der Polizei geht: „Sie wollen damit die Kriminalität verbannen. Aber wir sind nicht kriminell“, sagt sie. „Die Schließung ist doch nicht die Lösung für alle Probleme in der Nordstadt.“ Stattdessen würden die Frauen verdrängt, an unsichere Orte. Für sie steht fest: Wenn der Strich geschlossen wird, werden sich die Frauen in der Stadt einen anderen Platz suchen. „Die meisten haben kein Geld für eine Fahrkarte, die gehen nicht in eine andere Stadt“, sagt sie. Und ein Bordell käme auch nicht in Frage. „Da müsste ich am Tag 100 Euro oder mehr für ein Zimmer zahlen. Das nenne ich Ausbeutung und Zuhälterei.“

Die Vermutung einiger Politiker, dass Menschenhändler die „Ravensberger“ kontrollierten, findet sie abwegig.

Die 36-Jährige, die seit fünf Jahren als Prostituierte auf dem Strich arbeitet, ist überzeugt: „95 Prozent der Frauen dort arbeiten selbstbestimmt.“ Auch die 27 Jahre alte Camelia aus Bulgarien sagt, dass sie keinem Mann gehorcht. Seit sechs Monaten ist sie in Dortmund. „Der Strich ist sicher“, sagt sie in gebrochenem Deutsch. „In Bulgarien ist alles scheiße.“ Deswegen sei sie nach Deutschland gekommen. Hier lebe sie allein, ohne Familie. „Eine Katastrophe“ sei die Mallinckrodtstraße mit ihren vermüllten und besetzten Häusern, auf dem Strich sei es aber ok, sagt sie und hält den Daumen hoch.

Viele Freier demonstrieren mit

An der Mallinckrodtstraße wohnt Sebastian, der auch demonstriert. Nicht der einzige Mann, viele Freier haben sich den Frauen angeschlossen. „Wenn der Strich geschlossen wird, hat das Vergewaltigungen zur Folge.“

Dass die Frauen auf der Ravensberger Straße kontrolliert und sicher arbeiten, davon ist Elke Rehpöhler von der Beratungsstelle Kober überzeugt. Kober steht dort mit einem Container, in dem die Frauen medizinische Versorgung bekommen, gesundheitlich aufgeklärt werden. Wo sie etwas essen und auf die Toilette gehen können. Und es gibt die Verrichtungsboxen. Dort können die Freier parken. Die Frauen haben an der Beifahrerseite die Möglichkeit auszusteigen, und einen Alarmknopf zu drücken.

„Wir wollen auch keine Kriminalität“, sagt Rehpöhler, die ebenfalls mitdemonstrierte. „Aber die gibt es auch nicht auf der Ravensberger Straße.“

http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/Huren-Demo-Wir-lassen-uns-nicht-vertreiben-id4463121.html

 

28.03.2011 / Inland / Seite 2Inhalt jw

»Das ist eine Kampagne gegen Roma-Frauen«

Stadt Dortmund will Straßenstrich schließen. Linke protestieren gemeinsam mit Huren. Ein Gespräch mit Nancy Ann Ritschl

Interview: Mirko Knoche
Nancy Ann Ritschl ist Ratsherrin der Linksfraktion in Dortmund

Sie haben Ende letzter Woche gemeinsam mit Huren gegen die Schließung des Straßenstrichs in Dortmund demonstriert. Wann soll es soweit sein?

Der Beschluß soll am Donnerstag gefaßt werden. SPD und CDU haben schon klargestellt, daß sie den Strich in der Ravensberger Straße ohne Wenn und Aber weghaben wollen. Die Grünen, Die Linke und die FDP sind dagegen.

Wie begründen Union und Sozialdemokratie ihr Vorhaben?

Es gibt in Dortmund seit geraumer Zeit eine regelrechte Kampagne gegen Roma, die aus der Region um die bulgarische Stadt Plovdiv hierherkommen. Mittlerweile gehen viele Roma-Frauen auf dem Straßenstrich anschaffen. SPD und CDU behaupten, dadurch habe sich ein kriminelles Umfeld neu gebildet, das in der nahegelegenen Dortmunder Nordstadt zu Problemen führe. Die Polizei reagiert mit Razzien, Repressalien und erhöhter Präsenz.

Gibt es tatsächlich mehr Kriminalität?

Zumindest bis 2010 konnte ich in den offiziellen Daten keine wesentliche Veränderung feststellen. Die Argumentation lautet, daß sich ein kriminelles Netz über ganz Deutschland lege, das gehe von Dortmund aus. Wer aus Bulgarien stammt, bekommt noch immer nicht automatisch eine Arbeitserlaubnis, sondern kann nur per Gewerbeschein tätig werden. Für Frauen bedeutet das in der Regel Prostitution, während die Männer auf dem sogenannten Schwarzarbeiterstrich ihre Arbeitskraft anbieten.

Welche Nachteile hätte das Verbot des Straßenstrichs?

Auf der Ravensberger Straße können die Frauen bislang sicher arbeiten. Es gibt dort sogenannte Verrichtungsboxen. Die Freier fahren mit dem Auto hinein. Durch die Bauweise kann nur die Beifahrerseite geöffnet werden. Die Prostituierten können den Wagen schnell verlassen, während es den Freiern nicht möglich ist auszusteigen. Die Gewaltkriminalität konnte so um 90 Prozent gesenkt werden. Außerdem werden die Frauen dort vom Sozialdienst »Kober« betreut. Wenn die Prostitution aus der Ravensberger Straße verbannt würde, müßten die Huren in die Seitenstraßen ausweichen und wären wieder Gewalt ausgesetzt. Sie würden auch aus dem bisherigen Gewerbegebiet in Wohnbezirke ausweichen.

Dortmund will den Sperrbezirk auf die ganze Stadt ausweiten. Welche Folgen hätte das?

Ein Großteil der Prostitution würde in die Vororte verlagert. Wer in Dortmund bleibt, müßte illegal arbeiten. Sicherheit, Beratung und ärztliche Versorgung fielen dann weg. Vielen Frauen fehlt grundlegendes Wissen, etwa darüber, wie man ein Kondom benutzt. Ein Dortmund-weiter Sperrbezirk würde die Verhältnisse nur verschlechtern.

Wenn es Unsinn ist, die Prostitution in Dortmund zu kriminalisieren, warum bestehen Union und SPD dann darauf?

Das ist eine Kampagne gegen Roma-Frauen, die von den Medien mitgetragen wird und die darauf abzielt, neue Sündenböcke zu schaffen. Es wird immer weiter nach unten getreten. Da ist es einfach, sich die Roma herauszugreifen. Nicht mehr die Hartz-IV-Bezieher stehen am Ende der Stufenleiter oder der Alkoholiker oder Drogenkonsument, sondern die Roma. Sie können sich auch am wenigsten wehren. Deshalb müssen wir uns dazu bekennen, daß sie Hilfe brauchen. Dafür gibt es EU-Integrationsfonds, aber die Kommunen zapfen sie nicht an, weil sie die Probleme wegschieben wollen. Das funktioniert jedoch nicht. Mir wäre es auch lieber, wenn die Prostituierten in geregelten Arbeitsverhältnissen wären. Seit sie aber in den »Verrichtungsboxen« arbeiten, sind sie wenigstens kaum noch Opfer von Gewalt. Das dürfen wir nicht aufgeben.

Richtet sich die Kampagne in erster Linie gegen die Prostituierten oder gegen die Tatsache, daß es vor allem Roma sind?

Der Anlaß ist eindeutig die Nationalität. Denn bevor die Bulgarinnen kamen, sprach niemand von einem Problem. Aber jetzt soll »aufgeräumt« werden, jetzt kommt der »eiserne Besen«, wenn man es böse formuliert. Menschen werden vertrieben, wenn sie im Auto schlafen, Panik bricht aus, wenn Roma Restaurants übernehmen. In der Presse stehen Überschriften wie »Warmes Wetter lockt Roma nach Dortmund«.

Haben Sie in Dortmund nicht schon genug Probleme mit Rassismus?

Es ist in der Tat beängstigend, was hier vor sich geht.

http://www.jungewelt.de/2011/03-28/003.php