Diakonie fordert: Den Bettlerparagraf abschaffen

 

Die Diakonie will genervte Anwohner und Obdachlose miteinander ins Gespräch bringen. Ein Modellversuch soll in Bilk noch in diesem Jahr starten.


Düsseldorf. Die Düsseldorfer Straßenordnung läuft Ende des Jahres aus und muss vom Stadtrat neu beschlossen werden. Die Satzung untersagt an öffentlichen Plätzen unter anderem "aggressives Betteln" und "Lagern in Personengruppen" (Paragraf 6). Während Kritiker beklagen, die Verordnung diene ausschließlich dazu, Obdachlose und andere Randgruppen aus der Stadt zu vertreiben, fordern Befürworter eine Verschärfung. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass es dafür keine politische Mehrheit geben wird.

Alternativen finden: Die Diakonie hat sich währenddessen ein neues Konzept überlegt, das ganz ohne Verordnung auskommen soll. Im Stadtbezirk 3 (Bilk, Oberbilk, Friedrichstadt) soll noch in diesem Jahr ein Modellversuch gestartet werden. "Der Paragraf 6 muss weg", forderte am Montag Diakoniechef Thorsten Nolting bei einer Pressekonferenz. Die Interpretation einzelner Punkte im Paragrafen 6 sei schwierig, man glaube, er werde in erster Linie gegen Wohnungslose ausgelegt. "Es kann doch nicht sein, dass wir die Obdachlosen in Tagesstätten einsperren, nur damit sie nicht mehr im öffentlichen Raum auftauchen", kritisiert Nolting.

Moderation statt Platzverweis: Deswegen schlägt die Diakonie das Konzept der "Moderation" vor. "Alle beteiligten Gruppen, Anwohner und Obdachlose, sollen miteinbezogen werden", sagt Christian Arnold, bei der Diakonie für Wohnungslose zuständig. Anwohner sollen Punkte nennen, die sie stören. Im Anschluss, so glaubt er, könne man mit den Obdachlosen zusammen Regeln des Miteinanders aufstellen. Ein Moderator, vielleicht ein Theologe, soll die problematischen Orte aufsuchen. Auf den Ordnungs- und Service-Dienst will man indes nicht ganz verzichten. Arnold: "Wir wissen, dass es schwierige Situationen mit Obdachlosen gibt." Aber nicht der Platzverweis solle die Regel sein, sondern die gemeinsame Nutzung eines Platzes.

Modellversuch in Bilk: Ein solcher könnten der Oberbilker Markt oder der Lessingplatz sein, wo sich Alkoholkranke und auch Abhängige illegaler Drogen treffen. Die Stadtteilpolitiker des Bezirks 3 haben bereits Interesse signalisiert. "Wir wollen etwas für den Stadtteil tun", sagt Bezirksvorsteher Udo Figge. Alle Parteien stünden dem Diakonie-Vorschlag offen gegenüber. Ein Beschluss für den Start des Modellversuchs an einem noch zu bestimmenden Platz im Bezirk soll am 22. August, gefasst werden.

02.08.06
Von Sema Kouschkerian


© Westdeutsche Zeitung

 

 

Der Platz ist für alle da

 

SOZIALES. Diakonie kämpft gegen Teile der Straßenordnung und setzt ihr ein eigenes Ordnungsmodell entgegen.

Ein runder Tisch mit Geschäftsleuten und Obdachlosen, Anwohnern und Ordnungskräften? Das geht, glaubt die Diakonie und hofft so, die noch bis Jahresende gültige Straßensatzung entschärfen zu können. Deren Verlängerung wird der Rat im Winter beschließen. "Wir wollen in einem Modellfall gemeinsam mit allen Nutzern eine Platzordnung entwickeln", skizziert der Vorsitzende, Thorsten Nolting.

Für Christian Arnold, Leiter der Wohnungshilfe, sind die Reibereien, die oft mit einem Einsatz des städtischen Ordnungsdienstes endeten, vor allem ein Ergebnis "mangelnder Kommunikation. Wenn die Leute erst einmal miteinander ins Gespräch kommen, finden wir bestimmt eine Kompromisslösung, die alle freiwillig akzeptieren können", glaubt er. Es sei "wichtig, alle Beteiligten einzubeziehen".

Jeden als Nutzer ernst nehmen

Am Oberbilker Markt ließe sich so ein Modell vollziehen, Moderator könne ein Theologe sein, nach einem Jahr müsse man Bilanz ziehen. In der Bezirksvertretung 3 sei das Thema unlängst debattiert worden. "Jetzt", so Arnold, "hoffen wir darauf, dass die Politik uns einen Auftrag erteilt. Ohne den können wir ja nichts machen."

Nolting räumt ein, "dass esauf den Plätzen schwierige Situationen im Miteinander gibt". Darum sei auch ein verbindliches Regelwerk wichtig. "Aber wir brauchen eine Straßensatzung von allen für alle, die jetzige hat in erster Linie die Wohnungslosen im Blick, und das ist entwürdigend." Man müsse auch sie "als Platznutzer ernst nehmen". Die bestehende Satzung setze zu stark auf die Vertreibung. "Die Betroffenen ziehen dann einfach weiter, so löst man ja keine Probleme", stellt Antonia Frey klar, Ratsfrau der Grünen und Leiterin von Diakonie-Tagesstätten für Wohnungslose. Das Klischee von Wohnungslosen und Sozialarbeitern auf der einen Seite und Anwohnern und Ordnunggsdienst auf der anderen müsse durchbrochen werden.

Die vor allem von OB Erwin im Zusammenspiel mit der Bild-Zeitung geschürte Erwartung, die Straßensatzung werde noch verschärft, dürfte sich indes nicht bestätigen. Mit der SPD und den Grünen wäre das nicht zu machen, und da auch die Liberalen bereits hörbar den Kopf geschüttelt haben, würden Erwin und der CDU die politische Mehrheit fehlen.


01.08.2006    FRANK PREUSS

 

SCHWERPUNKT STRAßENORDNUNG

OSD-Einsätze auf Rekordhöhe

163000 Mal rückten die Frauen und Männer des Ordnungs- und Servicedienst der Stadt im vergangenen Jahr aus. Der Schwerpunkt: Verstöße gegen die Straßenordnung, beispielsweise durch Bettler.

VON JÖRN TÜFFERS


Das ist gerade noch mal gut gegangen: Hatte sich die sechsköpfige Entenfamilie doch auf die viel befahrene Kaiserstraße verlaufen. Zwischen Straßenbahn und Autos drohte dem Federvieh reichlich Ungemach. Der Ordnungs- und Servicedienst der Stadt sperrte kurzerhand die Straße und fing die abenteuerlustigen Enten wieder ein und setzte sie im nahe gelegenen Hofgarten wieder aus. Helfen konnte OSD-Leute auch einem Karlsruher. Der hatte Düsseldorf besucht und bei seiner Rückkehr im Badischen bemerkt, dass er seine EC-Karte verloren hatte. Die Ordnungshüter klapperten die Stellen ab, wo er sich zuletzt aufgehalten hatte - und fanden die gesuchte Karte.


So vergnüglich und heiter sieht der Alltag der 120Frauen und Männer in ihren blauen Uniformen nicht immer aus. Schließlich nimmt die Überwachung der Straßenordnung den größten Teil ihrer Einsätze aus - und nicht immer stoßen sie auf Gegenliebe: Zweite-Reihe-Parker, die „nur mal eben“ in die Reinigung wollten; Hundehalter, deren Vierbeiner ihr Geschäft auf dem Bürgersteig verrichten; oder Nachbarn, die in bierseliger Laune vergessen haben, dass die Partymusik Nachbarn vom Schlafen abhalten könnte. Nicht alle glänzen durch Einsicht.


Und die Zahl der Einsätze für den OSD steigt. Im vergangenen Jahr waren es 163000 Einsätze. So viele wie seit Bestehen des OSD im Jahr 1998 nicht. 2004 waren es laut Herbert Windhövel 102000 Einsätze. Er ist Referent im Ordnungsdezernat.


Unvermindert hoch sind die Einsätze gegen Menschen, die auf der Straße leben. Fast 14000 Fälle weist die Bilanz für 2005 aus. Im Jahr zuvor waren es 10500. „Aggressives Betteln, störender Alkoholgenuss und Pöbeln sowie Lagern werden durch die OSDler verhindert oder beendet“, sagte Windhövel. Vor diesem Hintergrund wird seit mehreren Jahren eine verschärfte Straßenordnung diskutiert. Vor allem die CDU mit Oberbürgermeister Joachim Erwin macht sich dafür stark, dass beispielsweise Betteln schon im Ansatz nicht geduldet wird. Eine politische Mehrheit dafür zeichnet sich noch nicht ab.


Bundesweit einzigartig ist die Schwerpunktbildung beim Jugendschutz. Die Stadt hat im Juni dieses Jahres ein sechsköpfiges Team eingerichtet, das den gewerblichen Jugendschutz überwachen soll. Dieses DJ-Team kontrolliert in Gaststätten, Diskotheken, Kiosken, ob Alkohol und Zigaretten an Jugendliche unter 16 Jahren abgegeben werden.„Aber die Mitarbeiter brachten auch den Aspekt Aufklärung ins Gespräch“, sagte Ordnungsdezernent Werner Leonhardt bei der Vorstellung des Projekts. So wurden in jeweils 10000er Auflage zwei Info-Flyer gedruckt. Einer befasst sich mit den Inhalten des Gesetzes und richtet sich an Eltern und Gewerbetreibende. „Alkohol ist keine Lösung“, ist der Titel der zweiten Broschüre, die an Jugendliche verteilt wird.

 

- /JÖRN TÜFFERS


Quelle:
Verlag: Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH
Publikation: Rheinische Post Düsseldorf
Ausgabe: Nr.177
Datum: Mittwoch, den 02. August 2006
Seite: Nr.10

 

Diakonie gegen Verschärfung


(jtü) Die Diakonie spricht sich gegen eine verschärfte Straßensatzung aus. Sie will im Gegenteil sogar Passagen aus dem zehn Jahre alten Katalog streichen. Es handelt sich um Paragraph sechs. Darin wird unter anderem aggressives Betteln und das Nächtigen auf Bänken untersagt. Es sei interpretierbar, wann Betteln als aggressiv empfunden werde, sagte Diakone-Geschäftsführer Thorsten Nolting gestern bei einem Pressegespräch. „Das empfindet jeder anders.“ Grundsätzlich hält er eine Straßensatzung für bedenklich, die sich gezielt gegen eine Gruppe wende: nämlich die der Obdachlosen. „Sie haben aber wie alle anderen das Recht, sich auf Plätzen aufzuhalten. Es kann ja nicht sein, dass wir sie von der Straße wegsperren“, meint Nolting. Die Diakonie will nun mit Wohnungslosen, Anwohnern und Geschäftsleuten ein eigenes Regelwerk für den Oberbilker Markt entwickeln. Wenn alle beteiligt würden, sei die Chance, dass sich alle an die Vereinbarungen halten, größer als jetzt.

Ein Pfarrer soll vermitteln


In der Bezirksvertretung 3 wurde der Stein ins Rollen gebracht: Am Siemensplätzchen waren im vergangenen Jahr die Bänke abmontiert worden, um Obdachlosen die Freude zu vermiesen, sich dort aufzuhalten. Das Echo war geteilt: Wo keine Bänke sind, kann auch sonst keiner sitzen. Auch die Platzverweise durch den OSD hätten zweifelhaften Effekt: „Das Problem wird nur verlagert, aber nicht gelöst“, sagte Christian Arnold, Leiter der Wohnungslosenhilfe bei der Diakonie. Was der OSD damit mache, sei Beschäftigungstherapie.


„Es wir zu wenig miteinander geredet“, ergänzte Antonia Frei. Sie leitet die Tagesstätten für Wohnungslose. Und es gebe eine klare Rollenverteilung: Der OSD auf der einen Seite, der Regelverstöße sanktioniert; dazu Bürger, die sich von Menschen am Rande der gesellschaft gestört fühlen. Auf der anderen Streetworker und Diakonie, die Partei für ihre Klientel ergreift.


Jemand Neutrales müsse her, ein Vermittler, ein Moderator. Ein Pfarrer könne es machen, meinte Arnold. Die Details für das Projekt am Oberbilker Markt sollen nach der Sommerpause in der Bezirksvertretung verabschiedet werden. „Wir brauchen ein Mandat“, betonte Diakonie-Geschäftsführer Thorsten Nolting. Er ist zuversichtlich, dass sich die politische Diskussion um eine härtere Straßensatzung damit noch beeinflussen lasse. „Verbote lösen keine Probleme.“


KOMMENTAR


Quelle:
Verlag: Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH
Publikation: Rheinische Post Düsseldorf
Ausgabe: Nr.177
Datum: Mittwoch, den 02. August 2006
Seite: Nr.10

 

Verstaubte Sozialromantik


Wem bringt eine verschärfte Straßenordnung etwas? In erster Linie den Verantwortlichen im Rathaus, die damit den Bürgern signalisieren, dass ihre Gefühle - von Unwohlsein bis hin zu Ängsten- ernst genommen werden. Aber ist den Menschen, die sich durch andere gestört oder belästigt fühlen, damit wirklich geholfen? Schreckt eine härtere Gangart Wohnungslose und andere, die ihren Lebensmittelpunkt in den Parks und auf den Plätzen in unserer Stadt haben, tatsächlich ab? Wer sich einmal am Rande dessen wiederfindet, was allgemein als gesellschaftlicher Konsens betrachtet wird, den kümmert es nicht, ob er einmal mehr oder weniger von den städtischen Ordnungshütern des Platzes verwiesen wird. Er kommt wieder. Und wer seinen Lebensunterhalt durch Betteln bestreitet, der wird nicht ohne Weiteres in die nächstgelegene Stadt flüchten, weil es für ihn noch ungemütlicher wird, als es schon jetzt ist.


Es ist nicht zu ändern - und muss nicht geändert werden: Obdachlose gehören zum Stadtbild Düsseldorfs. Fraglich ist jedoch, ob ein Runder Tisch, wie von der Diakonie in Oberbilk geplant, etwas bringt. In der Vergangenheit hat sich auf beiden Seiten so viel Frust und Ärger aufgestaut, dass große Gegensätze als unüberwindbar erscheinen. Eltern wollen ihren Kindern den Anblick von Betrunkenen am helllichten Tag ersparen. Dass die Diakonie etwas unternimmt, entspricht ihrem Selbstverständnis. Doch ihr Menschenbild entstammt einer verstaubten Sozialkromantik.

JÖRN TÜFFERS


Quelle:
Verlag: Rheinisch-Bergische Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH
Publikation: Rheinische Post Düsseldorf
Ausgabe: Nr.177
Datum: Mittwoch, den 02. August 2006
Seite: Nr.10

 

 

Eine Strassensatzung von allen für alle

Diakonie hat neue Idee für das Zusammenleben auf Düsseldorfs Plätzen

Düsseldorf, 01.08.2006, (did). Sommerhitze, Alkohol und viele Menschen an einem Ort: Auf den öffentlichen Plätzen in Düsseldorf gibt es - wie in anderen Großstädten auch immer wieder Reibereien und Auseinandersetzungen. Da treffen sich Gruppen zum Biertrinken, lassen ihre Hunde laufen. Und manche, die keine Wohnung haben, übernachten auch auf Bänken. Einige Anwohner und Gewerbetreibende fühlen sich davon gestört oder nicht mehr sicher.

Oft sind Polizei und Ordnungs- und Servicedienst gefragt, bei Konflikten einzugreifen. Düsseldorf hat sich dafür eine Straßensatzung gegeben, deren voraussichtlich geplante Verschärfung schon seit einiger Zeit heiß diskutiert wird und sicherlich auch in den kommenden Monaten: Zum Ende des Jahres läuft die Satzung aus. Die Diakonie diskutiert mit, denn die Straßenordnung betrifft viele wohnungslose und arme Menschen in Düsseldorf. 

„Regeln und Vorschriften für das Zusammenleben müssen sein“, sagt Diakoniepfarrer Thorsten Nolting. „Es geht aber auch anders als ausschließlich mit den Mitteln einer Straßensatzung.“ Wie es anders gehen kann – das will die Diakonie jetzt zeigen. Für einen Platz in Düsseldorf soll eine Platzordnung entwickelt werden, gemeinsam mit allen Nutzern des Platzes und den beteiligten Stellen der Stadt.

„Wir möchten gerne wohnungslose Menschen, Anwohner und alle, die mit dem Platz zu tun haben, an einen Tisch bekommen“, sagt Christian Arnold, Leiter der Diakonie-Wohnungslosenhilfe. „Das Problem ist oft die
fehlende Kommunikation. Wenn die Leute erst einmal miteinander ins Gespräch kommen, dann finden wir bestimmt eine Kompromisslösung, die alle freiwillig akzeptieren können.“
Ganz wichtig: Es soll eine konkrete, verbindliche Platzordnung entstehen, die dann für alle gilt und kontrolliert wird. Aber eben auf einer Basis, mit der alle Beteiligten leben können. Die meisten wohnungslosen Menschen wollten ja niemanden bewusst stören, so Arnold. Sie bräuchten nur neben den Diakonie-Tagesstätten Aufenthaltsorte im Freien. Wenn man sie in eine solche Ordnung für einen Platz mit einbeziehe, würden sie die Regeln viel eher akzeptieren.