Immer mehr Menschen benötigen im Alter finanzielle Unterstützung vom Staat

 

Die Angst vor der Altersarmut

17.06.2016 | 20:34 Uhr

Immer mehr Menschen benötigen im Alter finanzielle Unterstützung vom Staat.Foto: NGG

An Rhein und Ruhr. In den kommenden Jahren werden immer mehr
ältere Menschen in NRW auf Grundsicherung angewiesen sein. Ein Grund
dafür ist der Strukturwandel

Horst Vöge sieht für die Zukunft ziemlich schwarz: „Wir werden in
der Zukunft einen deutlichen Anstieg bei der Altersarmut sehen, wenn
sich nicht etwas grundlegend ändert“, sagt der Vorsitzende des
niederrheinischen Kreisverbands des Sozialverbandes VdK. Vöge ist mit
der Einschätzung nicht allein. Politiker aller Parteien warnen vor dem
Problem.

Ein Indiz dafür, dass diese Prognose Vöges zutrifft, ist die
absolute Zahl der Bezieher von Grundsicherung im Alter, die seit Jahren
steigt. Wenn die Rente nicht für das Nötigste reicht, stockt das
Sozialamt sie bis zum Hartz-IV-Niveau auf (siehe Kasten). Ende 2015
erhielten in Nordrhein-Westfalen 137 000 ältere Menschen Grundsicherung,
darunter 92 000 Frauen.

Weil aufgrund der Demografie gleichzeitig aber auch die Zahl der
Über-65-Jährigen wächst, blieb der Anteil der armen Alten bundesweit
seit Jahren nahezu konstant, zuletzt lag er bei 3,1%. Zum Vergleich: Von
den Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren lebten in Deutschland
zuletzt rund 13% in Hartz-IV-Familien, die Kinderarmut ist rechnerisch
damit ungleich größer als die Altersarmut. Deutlicher sichtbar ist sie
aber bereits in vielen Städten an Rhein und Ruhr. Das zeigt eine
exklusiv für diese Zeitung erstellte Statistik der Landesdatenbank
IT.NRW.

Viele Erwerbsbiografien haben erhebliche Brüche

Darin werden für jede Stadt die Bezieher von Grundsicherung im Alter
ins Verhältnis zur Bevölkerung im Rentenalter gesetzt. In der
turnusmäßigen Veröffentlichung fehlt diese Prozentangabe für die
Kommunen. Nur sie gibt aber Aufschluss über die Verbreitung von
Altersarmut in einer Stadt. Für manche überraschend hat die schicke
Landeshauptstadt Düsseldorf mit 7,2% anteilig mehr arme Rentner als jede
Ruhrgebietsstadt. Doch auch im Revier sind deutlich mehr ältere
Menschen aufs Sozialamt angewiesen als in den ländlicheren Gegenden von
NRW.

Foto: Bertelmann

Sozialminister Rainer Schmeltzer (SPD) zufolge ziehen gerade die
großen Städte Menschen mit Problemen an, sie erhofften sich dort
Arbeitsplätze, eine bessere Gesundheitsversorgung und günstige
Mietwohnungen. Auf dem Land lebten die meisten dagegen im eigenen Haus
und häufig in engeren Familienbünden.

Die Aufregung darüber hält sich in den Rathäusern noch in Grenzen.
Sie wäre womöglich größer, würde nicht der Bund anders als bei anderen
Sozialleistungen die Kosten der Grundsicherung im Alter seit 2014
komplett übernehmen. Mit Sorge blicken aber die Sozialdezernenten auf
das Problem und seine Tendenz für die Zukunft:. Der Strukturwandel wirkt
laut Essens Sozialdezernent Peter Renzel noch immer nach und sei längst
nicht beendet. „Die Jobs, die es gibt, passen nicht zu den oft
ungelernten Langzeitarbeitslosen. Uns fehlen gewerblich-technische
Arbeitsplätze“, sagt er. Er rechnet deshalb mit einem Anstieg der
Altersarmut in seiner Stadt.

Grundsicherung liegt bei zwischen 750 und 850 Euro

Anspruch auf Grundsicherung im Alter hat, wer mit seiner Rente und
anderen Alterseinkünften unter den Hartz-IV-Sätzen bleibt. Dazu zählt
die Regelleistung von 404 Euro und eine angemessene, warme Wohnung. Je
nach örtlichem Mietniveau bewegt sich der Gesamtbetrag für
Alleinstehende grob zwischen 750 und 850 Euro.

Wer mit seiner Rente darunter liegt, hat beim Sozialamt Anspruch auf
die Differenz. Dieser Aufstockungsbetrag stieg 2015 in NRW um 2,6
Prozent auf durchschnittlich 466 Euro pro Person. Auf den Bedarf werden
alle Einkünfte angerechnet, dazu zählen neben der Altersrente auch
Mütter- und Witwenrenten.

„Wir haben im Ruhrgebiet und am Niederrhein viele Erwerbsbiografien
im erheblichen Brüchen“, sagt Horst Vöge. Die Textilindustrie am
Niederrhein den Bach herunter gegangen, im Ruhrgebiet Kohle und Stahl.
„Für viele Menschen bedeutete das lange Zeiten der Arbeitslosigkeit.“
Zudem habe sich auch die Lohnstruktur verändert, weil immer mehr
Menschen in Teilzeit arbeiteten. Die Auswirkung: weniger
Rentenansprüche. Die zu erwartende Zunahme von Altersarmut werde
erhebliche Folgen für die Kommunen haben, warnt Vöge: „Das wird sich auf
das Einkaufsverhalten der Menschen auswirken, auf ihre Mobilität und
auf die Frage, ob die eigene Wohnung noch finanzierbar ist.“

Sozialminister Schmeltzer fordert, das Rentenniveau dürfe nicht
weiter sinken. Das verlangt auch der VdK. Allerdings verfügt jeder
vierte Empfänger von Grundsicherung im Alter über gar keine Altersrente,
wie eine Auswertung der Deutschen Rentenversicherung für 2014 ergab.
Betroffen seien viele Hausfrauen, die nicht auf die erforderlichen fünf
Versicherungsjahre kommen, und kleine Selbstständige, die nicht
vorgesorgt haben. Das muss bedenklich stimmen hinsichtlich der
diskutierten Konzepte zur Vermeidung von Altersarmut. Die geplante
Mindestrente etwa mit ihren 35 Beitragsjahren als Voraussetzung wird
diese Menschen nicht erreichen.

Stefan Schulte und Jan Jesse

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