Bilder slumartigen Behausungen von Wanderarbeitern im Frankfurter Gutleut machte prekäre Lage obdachloser EU-Bürger sichtbar. Köln packt das Problem an

 

Für Menschen, die durch alle Netze fallen

Die Bilder der slumartigen Behausungen von
Wanderarbeitern aus Rumänien im Frankfurter Gutleut machte die prekäre
Lage obdachloser EU-Bürger sichtbar. Köln packt das Problem jetzt an -
ein Vorbild auch für Frankfurt?

03.09.2018 13:18 Uhr

 Ende Mai wurde dieses Elendslager auf einer Brache im Frankfurter Gutleutviertel geräumt.

 

Foto: peter-juelich.com

Manuel Stock sieht sich um.
Der Fraktionsvorsitzende der Frankfurter Grünen steht in einem kargen
Raum mit fünf Feldbetten. „Alles sehr schlicht“, sagt Stock. „Aber es
geht ja auch nicht um Gemütlichkeit, sondern um humanitäre
Verantwortung.“ Seine Fraktionskollegin Beatrice Baumann macht ein
skeptisches Gesicht. Wenigstens richtige Betten hätte sie erwartet, sagt
sie dann. Trotzdem müsse man zugeben, dass die Kölner den Frankfurtern
politisch einen großen Schritt voraus seien, erwidert Stock. „Ich bin
beeindruckt, dass die schon so weit sind, so etwas durchgesetzt zu
haben.“

Das Gebäude, das die beiden Frankfurter Grünen mit ihrer Kollegin
Birgit Ross und einem Mitarbeiter des Frankfurter Gesundheitsdezernats
besichtigen, ist eigentlich nichts Besonderes. Ein weitläufiger Bau aus
den 50er Jahren, direkt am Volksgarten im Kölner Stadtteil Neustadt-Süd
gelegen. Nach dem Krieg wurden hier ausgebombte Familien untergebracht,
dann Flüchtlinge, später stand der denkmalgeschützte Bau leer. Doch
jetzt wird im ganzen Haus gewerkelt.

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In Hanau schlafen Wanderarbeiter notgedrungen auf einem Parkplatz.

Die Stadt baut das Gebäude zu einer Notübernachtungsstätte um, noch
im September soll diese die Arbeit aufnehmen. Dass die Frankfurter
Grünen an diesem Freitag extra nach Köln gereist sind, um sich die
Baustelle anzugucken, liegt an der Zielgruppe der neuen Einrichtung: Sie
ist für Wanderarbeiter aus dem EU-Ausland gedacht, vor allem aus
Bulgarien und Rumänien, die auf der Suche nach Arbeit nach Köln gekommen
und obdachlos geworden sind.

Weil diese Menschen sich als EU-Bürger legal in Deutschland
aufhalten, in aller Regel aber keinen Anspruch auf Sozialleistungen und
damit keinen Zugang zum Hilfssystem für Obdachlose haben, wird in vielen
deutschen Städten darüber diskutiert, was man für sie tun kann. In
Frankfurt wurde die Debatte seit 2013 dadurch angeheizt, dass eine
Gruppe obdachloser Wanderarbeiter aus Rumänien sich auf zwei
verschiedenen Industriebrachen im Gutleutviertel Hütten aus Sperrmüll
gezimmert hatte. Die slumartigen Bedingungen machten die prekäre Lage
der Menschen in der  Stadt zum Thema.

Dass Köln mit der neuen Notunterkunft nun eine Vorreiterrolle
übernehme, habe vor allem mit dem sichtbaren Elend zu tun, sagt Dirk
Schumacher. Mit Fachleuten aus der Verwaltung und Mitgliedern der Grünen
im Rat der Stadt Köln ist der Abteilungsleiter Wohnen im Kölner
Sozialamt mit auf die Baustelle gekommen, um den Gästen aus Frankfurt
das neue Projekt vorzustellen. Seit einigen Jahren seien im Kölner
Stadtbild immer wieder obdachlose EU-Bürger aufgefallen, denen man
aufgrund fehlender Ansprüche nicht habe helfen können, sagt Schumacher.
Sie hätten die offenen Hilfsangebote der Stadt genutzt und die
klassische Zielgruppe der Obdachlosenhilfe teilweise verdrängt. Die
Menschen kämen mit großer Hoffnung auf Arbeit nach Köln. Und da sie in
ihren Heimatländern oft unter sehr ärmlichen Bedingungen lebten, gingen
sie auch dann nicht nach Hause, wenn ihre Träume platzten. „Da hat der
Sozialstaat ein Loch“, sagt Schumacher.

Der entscheidende Anstoß für das neue Projekt sei dann im vergangenen
Winter gekommen, berichtet er. Die Kölner „Winterhilfe“, bei der jedes
Jahr zusätzliche Schlafplätze für Obdachlose geschaffen werden, sei in
das leerstehende Haus in der Nähe des Volksgartens gezogen. Da die
meisten Nutzer aus Osteuropa gekommen seien, sei die Idee entstanden,
das Haus nach Ende des Winterprogramms ganzjährig zu nutzen – für all
jene, die ohne Ansprüche durch die Netze fallen. Um mit humanitärer
Hilfe ihre Not wenigstens etwas zu lindern.

„Das ist kein Thema, das politisch easy ist“, sagt Jörg Frank,
Geschäftsführer der Ratsfraktion der Kölner Grünen. Es habe viel
Überzeugungsarbeit gebraucht, um die CDU, mit der die Kölner Grünen mit
wechselnden Mehrheiten regieren, zu begeistern. Letztlich brachten CDU
und Grüne mit Stimmen von FDP und einer kleinen Wählerliste Ende
vergangenen Jahres den entscheidenden Haushaltsantrag durch den Kölner
Rat. Die Initiative sieht 650 000 Euro pro Jahr für die laufenden Kosten
der neuen Einrichtung vor, in Kooperation mit sozialen Trägern sollen
den Nutzern umfangreiche Hilfen angeboten werden. Zugleich soll es im
Kölner Stadtgebiet mehr Kontrollen obdachloser Menschen geben – ein
Zugeständnis an die Ordnungspolitiker in der CDU. „Ich bin sehr dankbar,
dass die Politik da aktiv geworden ist“, sagt Dirk Schumacher vom
Sozialamt. Man sei zuversichtlich, eine Lücke im Hilfssystem schließen
zu können.

Derjenige, der die Lücke am Ende wirklich schließen muss, ist Rainer
Best. Best ist beim Kölner Sozialdienst Katholischer Männer, der die
Einrichtung betreiben wird, für die Wohnungslosenhilfe zuständig. Er
koordiniert die seit April laufenden Umbauarbeiten und führt die
Frankfurter durch das Gebäude. Es sei noch viel zu tun bis zur
Eröffnung, räumt er ein. „Aber wir denken, dass wir das hinkriegen.“ Der
Standard des Gebäudes wird einfach, aber hochwertig: Der Brandschutz
ist auf dem neusten Stand, es gibt getrennte Bereiche für Frauen und für
Rollstuhlfahrer.

Zunächst sollten 90 Schlafplätze entstehen, mittelfristig könne das
Haus Platz für 150 Menschen bieten, sagt Best. Die Notübernachtung soll
abends um 19 Uhr öffnen, die Gäste können ihre Wertsachen einschließen
und bekommen Bettwäsche ausgehändigt. Um 8 Uhr müssen sie die Zimmer
verlassen, von 11 bis 19 Uhr soll es aber eine Tagesaufenthaltsstätte
geben. Dazu Essenausgabe, Kleiderkammer, Duschen, Waschmaschinen, eine
medizinische Ambulanz – und eine Sozialberatung in mehreren
osteuropäischen Sprachen. Die Menschen können nicht dauerhaft einziehen –
aber jeden Abend wiederkommen.

„Ich denke, das hier wird ein großer Punkt zur Verbesserung des
Hilfssystems“, sagt Best, der von der Idee der Einrichtung spürbar
begeistert ist. Die Personalien der Übernachter sollen jeden Abend
überprüft werden, damit auch wirklich nur EU-Bürger ohne Rechtsansprüche
auf Sozialleistungen das Angebot nutzen. Kontakte zur lokalen Polizei
und zu den Anwohnern seien bereits geknüpft, berichtet Best. „Wir gehen
davon aus, dass wir hier große Unterstützung haben werden.“ Bei den
herunterhängenden Kabeln, dem nackten Beton und den noch zu ziehenden
Zwischenwänden fällt es nicht leicht, sich die fertige Einrichtung
vorzustellen. Aber Best traut man sofort zu: Der kriegt das noch
rechtzeitig hin.

Die kleine Frankfurter Delegation ist merklich beeindruckt. „Es ist
offenbar alles einfacher als gedacht“, sagt Beatrix Baumann. Jetzt habe
man ein konkretes Beispiel, mit dem man in Frankfurt weiterdiskutieren
könne, sagt Manuel Stock – zunächst mal mit den Koalitionspartnern von
CDU und SPD. „Man kann ja immer von anderen lernen.“ Stocks
Fraktionskollegin Birgit Ross, die sich viele Notizen gemacht hat, nickt
eifrig. „Wir starten direkt mit der Überzeugungsarbeit.“

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