815 Millionen hungern. 68,5 Millionen auf der Flucht.

 

815 Millionen hungern

Die Welthungerhilfe zieht Bilanz: Kriege und steigende Flüchtlingszahlen bedrohen Erfolge der Organisation.

  Essensverteilung in Mossul.

 

Foto: dpa 
Entwicklungshilfe für hungernde Menschen und
Entwicklungszusammenarbeit mit armen Ländern haben angesichts weltweit
steigender Flüchtlingszahlen einen Bedeutungswandel erfahren. Neben
humanitären Beweggründen spielen nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnungen und
eigennützige Motive der Geberländer eine maßgebliche Rolle: Geht es den
Menschen in ihrer Heimat besser, machen sich weniger auf den Weg in die
vermeintlich gelobten Länder des Nordens. Mithin haben Hilfsleistungen
für Drittwelt- und Schwellenländer unter anderem das erklärte Ziel, die
sogenannten Fluchtursachen zu bekämpfen.   

Sonderlich erfolgreich scheinen diese Bemühungen derzeit
nicht zu sein: Die Zahl der Menschen, die 2017 weltweit auf der Flucht
vor Armut und Gewalt waren, gibt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen UNHCR mit 68,5 Millionen an – so viele wie nie zuvor. Lässt
sich hieraus auf ein Versagen der staatlichen Entwicklungshilfe und
gemeinnütziger Hilfsorganisationen schließen? Keineswegs, findet die
Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann. „Wir können Brunnen
bauen, Schulen unterstützen, Frauenprojekte fördern und
Bewässerungstechniken vermitteln. Aber zentrale Fluchtursachen wie
Klimawandel, Krieg und Bürgerkrieg kann die Entwicklungszusammenarbeit
nicht beseitigen. Diese Probleme müssen politisch gelöst werden“,
betonte Dieckmann am Dienstag während der Vorstellung des
Welthungerhilfe-Jahresberichts 2017. Die frühere Bonner
Oberbürgermeisterin warnte sogar ausdrücklich davor, von steigenden
Entwicklungshilfeausgaben, wie sie die Koalition beschlossen hat,
unmittelbar sinkende Flüchtlingszahlen zu erwarten.

Bewässerungstechniken vermitteln. Aber zentrale Fluchtursachen wie
Klimawandel, Krieg und Bürgerkrieg kann die Entwicklungszusammenarbeit
nicht beseitigen. Diese Probleme müssen politisch gelöst werden.

Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe

 

 Gleiches gilt für die Arbeit der Welthungerhilfe, die im vergangenen
Jahr mit Einnahmen von 263 Millionen Euro eines der höchsten Budgets
seit ihrer Gründung im Jahr 1962 zur Verfügung hatte. Knapp die Hälfte
der Mittel, die zu 90 Prozent unmittelbar den Menschen in den
Zielregionen zugutekommen, galten Projekten im Bereich Ernährung,
Landwirtschaft und Umwelt, weitere 52 Millionen Euro flossen in
Wasserversorgung, Sanitäranlagen, Hygieneeinrichtungen und
wirtschaftliche Entwicklung, 45 Millionen wurden für humanitäre Hilfe
aufgewandt. Mit einem Fördervolumen von 160 Millionen Euro ist
Schwarzafrika unverändert die wichtigste Zielregion.

 

Zwar vermag Entwicklungszusammenarbeit weder klimawandelbedingte
Dürren in der Sahelzone oder Überschwemmungen in Südasien zu verhindern,
noch kriegerische Auseinandersetzungen im Südsudan oder Vertreibungen
in Myanmar zu beenden. Nutzlos oder gar schädlich – wie mitunter
behauptet wird – sind die Anstrengungen der Entwicklungshelfer aber
keineswegs.

Im Nordosten Haitis, wo die Welthungerhilfe zwischen 2000 und 2011
Bewässerungs- und Infrastrukturprojekte mit Hilfe einheimischer
Arbeitskräfte umsetzte („Cash für Work“), verbesserte sich die
Ernährungssituation der Bevölkerung um 50 Prozent, während es in nicht
geförderten Landesteilen nur 13 Prozent gewesen seien, berichtet der
Vorstandschef der Welthungerhilfe, Till Wahnbaeck. Die
landwirtschaftlichen Erträge seien um bis zu 200 Prozent gestiegen.

Im ostafrikanischen Ruanda unterstützte die Welthungerhilfe die
Umwandlung von Sumpfland in Reisfelder, die mittlerweile 6500
kleinbäuerlichen Familien eine Existenzgrundlage bieten. „Ich habe in
den zehn Jahren meiner Präsidentschaft kein einziges Projekt der
Welthungerhilfe kennengelernt, das die Situation der Menschen nicht
spürbar verbessert hätte“, so Dieckmann.

Damit trägt die Organisation, die seit 55 Jahren in 40 Ländern aktiv
ist, durchaus einen Teil zum globalen Rückgang absoluter Armut bei. Zwar
sind die Dimensionen der Unterentwicklung nach wie vor erschreckend:
2017 litten global 815 Millionen Menschen Hunger. Doch der Anteil
hungernder Menschen an der Weltbevölkerung ging von 28 Prozent im Jahr
1970 auf elf Prozent 2015 zurück. Auch die Trinkwasserversorgung
verbesserte sich deutlich: Verfügte 1980 erst 58 Prozent der Menschheit
über einen sicheren direkten Zugang zu sauberem Wasser, waren es 2016
bereits 88 Prozent. Zugleich sank die Kindersterblichkeit rapide.

http://www.fr.de/wirtschaft/entwicklungshilfe-815-millionen-hungern-a-15...

 

Aus: Ausgabe vom 21.06.2018, Seite 1 / Ausland

30 Millionen Kinder weltweit auf der Flucht

Köln. Rund 30 Millionen
Kinder und Jugendliche befinden sich UNICEF zufolge auf der Flucht vor
Konflikten – mehr als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Gut die
Hälfte aller Menschen mit Flüchtlingsstatus sei jünger als 18 Jahre, wie
das UN-Kinderhilfswerk am Mittwoch zum Weltflüchtlingstag mitteilte.
Diese Jungen und Mädchen – unabhängig davon, ob in ein fremdes Land
geflüchtet, Asylbewerber oder Binnenvertriebene im eigenen Land – seien
oft großen Gefahren ausgesetzt. Viele würden nicht gesundheitlich
versorgt. Auch sei die Zahl der Minderjährigen, die allein auf den
Flucht- und Migrationsrouten unterwegs sind, laut UNICEF inzwischen auf
eine traurige Rekordhöhe gestiegen. Mindestens 300.000 unbegleitete oder
von ihren Eltern getrennte Heranwachsende seien 2015 und 2016 in 80
Ländern registriert worden – fünfmal so viele wie 2010 und 2011.
(dpa/jW)

https://www.jungewelt.de/artikel/334505.30-millionen-kinder-weltweit-auf...