330.000 Haushalten Strom abgeschaltet

 

330.000 Haushalten Strom abgeschaltet

Die Rechnung nicht bezahlt, die Mahnung ignoriert: Irgendwann
ist es in der Wohnung kalt und dunkel. Stromsperren bleiben im reichen
Deutschland ein Massenphänomen.

22.10.2017 12:13 Uhr

Abendprogramm mit Kerzenschein. Der Familie wurde der Strom abgestellt.

Foto: dpa

Wegen unbezahlter
Rechnungen ist im vergangenen Jahr rund 330.000 Haushalten in
Deutschland der Strom abgestellt worden. Neben den Sperrungen der
Anschlüsse hat es 2016 zudem etwa 6,6 Millionen Sperr-Androhungen gegen
säumige Zahler gegeben.

Das geht aus dem Entwurf für den Jahresmonitoringbericht von
Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt hervor, der der Deutschen
Presse-Agentur vorliegt. Die Zahl der Stromabschaltungen im Auftrag der
örtlichen Grundversorger ist damit im Vergleich zum Jahr zuvor nur
leicht zurückgegangen. Damals gab es etwas über 331.000 Fälle.

Stromsperren sind als letztes Mittel der Versorger bei
Zahlungsrückständen von mindestens 100 Euro, mehreren Mahnungen und
einer Sperr-Androhung mit letzter Zahlungsfrist möglich. Für die
Betroffenen bringen sie hohe Zusatzkosten, denn die Kunden müssen nicht
nur die aufgelaufenen Rechnungen, sondern auch die Sperrung und den
späteren Wiederanschluss selbst bezahlen: Nach dem Bericht fielen dafür
im Schnitt jeweils 35 bis 40 Euro an, wobei einzelne Versorger
wesentlich höhere Beträge von jeweils bis zu 200 Euro forderten.

Nach den Beobachtungen von Verbraucherzentralen und
Sozialbehörden reagieren Betroffene oft zu spät auf die drohende
Zahlungsunfähigkeit. Teil des Problems sind auch die stark gestiegenen
Strompreise: Seit dem Jahr 2000 haben sie sich für Haushaltskunden auch
durch die Zusatzlasten der Energiewende von 15 Cent pro Kilowattstunde
auf um die 30 Cent verdoppelt. Die durchschnittlichen Realeinkommen
legten im selben Zeitraum nicht annähernd so stark zu. Der Energieanteil
in den Hartz-IV-Regelsätzen deckt nach Meinung von Sozialverbänden den
Strombedarf eines Ein-Personen-Haushaltes bei weitem nicht ab.

Zudem stecken ausgerechnet arme Menschen vielfach in teuren
Grundversorgungstarifen für ihren Strom fest. Bei schlechter Bonität der
Kunden schließen manche Versorger keine günstigeren Sonderverträge ab.
Weil sie kein Geld haben, können sich arme Kunden oftmals keine neuen
Geräte leisten und behalten ihre alten „Stromfresser“. Sie verbrauchen
damit also überdurchschnittlich viel.

Die Grünen warfen den zuständigen SPD-Ministern Untätigkeit
vor. „Während fast jeder Industriebetrieb eine Vergünstigung geschenkt
bekam, hatte der SPD-Wirtschaftsminister für arme Menschen nicht mal
einen Vorschlag übrig“, sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer am
Sonntag. Vorschläge für Modellprojekte würden ignoriert. Sowohl der
frühere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als auch Umweltministerin
Barbara Hendricks und die bisherige Sozialministerin Andrea Nahles (alle
SPD) seien „offensichtlich nicht interessiert“ gewesen. (dpa)

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