Welt-Hungerhilfe: Kein Grund zur Entwarnung

14. Oktober 2014

Welt-Hungerhilfe Kein Grund zur Entwarnung

 Von Martina Doering

Kindern in Entwicklungsländern mangelt es an Obst und Gemüse. Auf den Tisch kommen vor allem Kohlehydrate. Foto: Imago

Die Ebola-Epidemie, der IS-Konflikt und falsche Ernährung gefährden die
Erfolge im weltweiten Kampf gegen den Mangel. Laut Welthungerhilfe sinkt
zwar die Zahl der Hungernden, die der Unterernährten nimmt allerdings
weiter zu.

Auf der Weltkarte, die den Hunger-Index von Entwicklungs- sowie Schwellenländern anzeigt,
existieren nur noch zwei tiefrote Flecken: Eritrea und Burundi, wo die
Lage als gravierend eingestuft wird. Global ist die Zahl der Hungernden
zurückgegangen: seit 1990 von über einer Milliarde auf aktuell 805
Millionen Menschen. Am Montag stellten die deutsche Welthungerhilfe und
das Washingtoner International Food Policy Institute (IFPRI) den
Welthunger-Index (WHI) 2014 vor.

Der WHI ist kein Papier, das vorgelegt wird und dann in der Schublade verschwindet. Er
provoziere Regierungen zum Handeln, so IFPRI-Forscher Klaus von Grebmer.
Es entstehe eine Wettbewerbssituation, Regierungen wie etwa in Indien
bemühten sich auch mit Blick auf den WHI um eine Verbesserung der
Situation.

Bewertet werden von den 120 Entwicklungs- und Schwellenländern jene Staaten, von denen verlässliche
Angaben vorliegen. Dabei stützen sich die WHI-Mitarbeiter auf Zahlen der
FAO, der Weltgesundheitsorganisation und der UN. Als Indikatoren werden
der Anteil unterernährter Menschen, der unterernährten Kinder unter
fünf Jahren sowie die Sterblichkeitsrate von unter Fünfjährigen zur
Bewertung der Situation in einem Land herangezogen.

Sinkt
der Indexwert, verbessert sich die Lage – was in vielen Ländern der
Fall war. 26 Staaten konnten ihren WHI-Wert um die Hälfte oder mehr
reduzieren, etwa Angola, Brasilien, Ghana, Kambodscha, Thailand, Peru
und Vietnam. In 16 Ländern ist das Ausmaß des Hungers immer noch „sehr
ernst“ oder „gravierend“.

Wegen bewaffneter Auseinandersetzungen bestünde
jedoch die Gefahr, dass sich die Situation in einigen Staaten wieder
verschlechtern wird – etwa im Südsudan, der Demokratischen Republik
Kongo oder in Syrien. Im Irak ist das bereits eingetreten: Das Land
verzeichnet im diesjährigen WHI das zweitschlechteste Ergebnis von allen
Ländern. Andauernde Gewalt, die viele Binnenvertriebenen und der
Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien belasten. Der Anteil unterernährter
Menschen hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt. Auch in den Ländern
Westafrikas, die von der Ebola-Epidemie betroffen sind, wird die
Situation dramatisch werden, warnt die Präsidentin der Welthungerhilfe,
Bärbel Dieckmann. Felder würden nicht mehr bestellt, Märkte
funktionierten nicht, Handel sei unterbrochen. „Die Zahl der Hungernden
weltweit mag auf 805 Millionen zurückgegangen sein,“ so Dieckmann. „Doch
das ist kein Grund zur Entwarnung.“

2014 rückt der WHI den „verborgenen Hunger“ in den Mittelpunkt. Zwei Milliarden
Menschen seien betroffen, ihnen stünden zwar genug Kalorien zur
Verfügung. Aber sie litten Mangel an Mikronährstoffen wie Eisen, Zink,
Jod oder Vitaminen, sagt Dieckmann. Die Folgen seien
wirtschaftsrelevant, so IFPRI-Forscher von Grebmer: „Bilder von Kindern
mit vor Hunger aufgetriebenen Bäuchen sind kaum noch sehen.“ Doch
mangelernährte Kinder blieben klein, ihr Gehirn bilde sich nicht richtig
aus. Sie seien oft krank, blieben lebenslang schwach. In den meisten
Entwicklungsländern ist das Bruttoinlandsprodukt durch
Mikronährstoffmangel um 0,7 bis zwei Prozent reduziert.

Zwar sind zunehmend auch Kinder aus Industrieländern wegen ungesunder
Ernährung von Mangelerscheinungen betroffen. Doch diese Länder seien
nicht Gegenstand des WHI, sagt von Grebmer. Dort stünden
Nahrungsergänzungsmittel zu Verfügung. In Entwicklungsländern sei eine
Verteilung solcher Zusatzstoffe nicht praktikabel: Es fehle das nötige
Geld, zudem würden neue Abhängigkeiten geschaffen.

Die Forscher konstatieren aber nicht nur den Zustand, sondern schlagen auch
Lösungsansätze vor. Strategien für eine ausgewogene Ernährung gehören
in Entwicklungsprogramme und auf die internationale Agenda, fordern sie.
Verbesserungen in der Landwirtschaft seien nötig, erklärt von Grebmer,
veränderte Anbauweisen, Förderung der Nahrungsmittelvielfalt, Nutzung
von Kräutern, Gemüse, Obst sowie eine behutsame Änderung von
Ernährungsgewohnheiten und Traditionen. Dafür brauche es vor allem
Bildung. Sie sei eine der wichtigsten Waffen im Kampf gegen Hunger und
Mangel.

Internationaler Mädchentag: Situation von Mädchen ist hier besonders

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