IW: Die Armut droht in den Großstädten

Die Armut droht in den Großstädten

25.08.2014 | 17:31 Uhr

Armut mitten in der Stadt. Auf dem Land ist der Anteil der Menschen,
die von Armut bedroht sind, geringer - unter anderem, weil die
städtischen Mieten meist deutlich höher sind. Foto: Kerstin Kokoska

Berlin. Erstmals hat das Institut für Wirtschaft in einer Studie
zur Armut auch die Kaufkraft in die Berechnung einbezogen. Ergebnis: In
NRW sind vor allem Großstädter von Armut bedroht. Die Benachteiligung in
größeren Teilen Ostdeutschlands ist mittlerweile zurückgegangen – in
westdeutschen Städten dagegen nicht.

Für eine Änderung des Länderfinanzausgleichs plädiert das Institut
der deutschen Wirtschaft. Nicht mehr Ostdeutschland als Ganzes, sondern
benachteiligte Städte in Ost und West sollten künftig in den Genuss der
Förderung kommen. Das fordern diesmal nicht hiesige Sozialdemokraten,
sondern das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in
Köln. Die Forscher argumentieren auf der Basis einer neuen Untersuchung
zur Armut im West-Ost-Vergleich: Demnach ist die Benachteiligung in
größeren Teilen Ostdeutschlands mittlerweile zurückgegangen – in
westdeutschen Städten dagegen nicht.

Kommentar

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Armut ist erschreckend verbreitet – wenn man die im Vergleich zu den
Einkommen hohen Lebenshaltungskosten in den Städten einbezieht. Das
muss ein wichtiger Befund sein, wenn es um die Neudefinition des
Länderfinanzausgleichs geht.

Das IW hat erstmals die Kaufkraft in die Berechnung der Armut
einbezogen. Damit ist es näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen
als die übliche Armutsstatistik, die nur misst, wie viele Menschen
weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Wie
viel solche Menschen von dem Geld in ihrer Stadt kaufen können, ist
laut IW für den ohnehin relativen Armutsbegriff entscheidend.

Bürger im Osten können sich mehr leisten

Zwar liegen die Einkommen in den fünf ostdeutschen Bundesländern
meist unter den westdeutschen. Da aber die Preise etwa für Mieten und
Konsumgüter einen noch größeren Abstand aufweisen, könnten sich die
Bürger im Osten manchmal mehr leisten als im Westen, so das IW. So liegt
an der negativen Spitze Köln mit einem Anteil von kaufkraftarmen
Bürgern von 26,4 Prozent, was vor allem an den enormen Mieten in der
Domstadt liegen dürfte.

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19 Prozent der Essener unter 65 Jahren sind monatlich auf Hartz IV
angewiesen. Das teilte das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der
Universität Duisburg mit. Essen liegt damit sowohl deutlich über dem
landes- als auch dem bundesweiten Schnitt.

Sehr hoch ist die Zahl der Armen auch in Dortmund (25,5 Prozent),
Duisburg (24,1 Prozent), Gelsenkirchen (23,5 Prozent) und anderen
Ruhrgebietsstädten. In den ländlich geprägten Kreisen am Niederrhein und
in Südwestfalen leben dagegen weit weniger Menschen, deren Einkommen im
Verhältnis zu den örtlichen Preisen nicht ausreicht. Dies trifft etwa
im Hochsauerlandkreis nur auf 11,6 Prozent der Bevölkerung zu, im Kreis
Wesel auf 13 Prozent.

Schwerpunkt Ruhrgebiet

Dass die Kaufkraft-Rechnung des IW die Standard-Armutsstatistik
kräftig durcheinander wirbelt, verdeutlichen die Armutsgrenzen in Euro
und Cent: Im reichen Baden-Württemberg gilt ein Single als
„kaufkraftarm“, wenn er weniger als 908 Euro monatlich zur Verfügung
hat. Mit dieser Summe läge er in Sachsen-Anhalt, wo die Löhne, aber auch
die Preise deutlich unter Westniveau liegen, weit über der Armutsgrenze
von dort 812 Euro. In Nordrhein-Westfalen braucht er mehr als 875 Euro
im Monat, um nicht als arm zu gelten.

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Minister Walter-Borjans macht Schulden, damit andere ohne auskommen.
2013 gab das Land soviel Geld ab, dass es selbst zum Nehmerland wurde.
Nun verlangt NRW Korrekturen an solchen Ungereimtheiten, denn bis 2019
werden die Karten neu verteilt.

Daraus leitet IW-Chef Michael Hüther die Empfehlung ab, „die
Regionalförderung neu auszurichten, um den städtischen Problemen gerecht
zu werden“. Ein Schwerpunkt müsse dabei das Ruhrgebiet sein, so Hüther.
Aber auch die sogenannten „kleinen Ruhrgebiete“ mit „nicht bewältigtem
Strukturwandel“, etwa Bremen, Lübeck, Kaiserslautern oder Offenbach,
bräuchten mehr Hilfen.

Bayern und Hessen klagen

Mit seiner Studie liefert das IW Stoff für die laufende Debatte über
den Finanzausgleich zwischen den Bundesländern. Die reichen Bayern und
Hessen haben dagegen geklagt, weil sie ärmeren Ländern weniger Geld
überweisen wollen.

2019 läuft auch der bisherige Solidarpakt zugunsten der ostdeutschen
Länder aus. Unter anderem die NRW-Landesregierung will dann ebenfalls
von einem neu ausgehandelten Finanzausgleich profitieren. NRW solle um
rund drei Milliarden Euro entlastet werden, sagte Finanzminister Norbert
Walter-Borjans (SPD) kürzlich.

Hannes Koch

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